Ein ganzes Dorf auf der Bühne

Passionsspiele Oberammergau

Am 15. Mai 2010 beginnen in Oberammergau die Passionsspiele. Zum 41. Mal steht fast das gesamte Dorf auf der Bühne und spielt in fünf Stunden die wichtigsten Stationen aus dem Leben Jesu nach. Über 2.000 Laiendarsteller werden bis zum 3. Oktober an fünf Tagen pro Woche in diverse Rollen schlüpfen.

Kulturjournal, 14.05.2010

Es wirkt gespenstisch, wenn unter dem Jubel des Bühnenvolkes die drei Kreuze langsam aufgerichtet werden. Der blutende Jesus-Darsteller, nur ein Lendenschurz in der Mitte. Die Temperaturen liegen unter zehn Grad. Die Zeit: 22:00 Uhr. Jesus Nummer 1, Andreas Richter, freut sich, dass nach fünf Monaten Probe endlich die Premiere vor der Tür steht: "Man merkt, dass es Zeit wird, dass man jetzt spielt. Die Durchlaufproben haben gezeigt, dass es läuft und dass man anfängt, auch wirklich nochmal in die Rolle hineinzuschlüpfen."

Jesus Nummer 2, Fredrik Mayet, sieht man nach dem Abend die Anstrengung an. Die Dornenkrone hat auf der Stirn ihre Spuren hinterlassen. "Heute war es schon ziemlich kalt", sagt Mayet. "Man fängt zu zittern an, das sollte man aber nicht am Kreuz, aber schlimmer war es, auf dem Boden zu liegen."

Diskussion um Nachtspiel

Wohl jeder in Oberammergau ist jetzt froh, wenn die Zeit der Routine beginnt. Die Gäste müssen bewirtet werden, bis zu 500.000 Besucher erwartet die Gemeinde, jeder Zweite kommt aus dem Ausland. Das sind zwar weniger als 1990 und 2000, aber das kann sich ja noch ändern, hoffen die Wirte.

Noch bis zuletzt wurde im Gemeinderat von Oberammergau diskutiert, ob die Entscheidung richtig war, erstmals in der 375-jährigen Geschichte erst nachmittags um 14:30 Uhr statt morgens um 9:30 Uhr zu beginnen. Das Nachtspiel entzweite die Gemeinde im vergangenen Jahr, ein Ultimatum von Spielleiter Christian Stückl beendete die Diskussion. Vorerst. Dann flammte sie wieder auf, ebenso wie die Frage, ob die Passionsspiele eine kostspielige Verstärkeranlage anschaffen dürfe, um die Darsteller, immerhin nur Laien, im 2.000 Zuhörer fassenden Passionstheater stimmlich zu entlasten.

Zu hoher Frauenanteil?

Noch kurz vor der Premiere musste sich Spielleiter Christian Stückl mit Anschuldigungen von Florian Streibl, Mitglied im Gemeinderat, ehemaliger Vizebürgermeister und Sohn eines früheren bayerischen Ministerpräsidenten, auseinandersetzen: Der "Passions-Diktator", so der Kritiker über Stückl, arbeite mit einem zu hohen Frauenanteil bei der Passion.

Außerdem gäbe es zu viel Einfluss jüdischer Organisationen. Die Gemeinde äußerte sich in heftigster Kritik. Diese Auseinandersetzungen müssen wohl vor jeder Passion sein, sagt Christian Stückl dazu lapidar, sein Kontrahent habe sich mittlerweile entschuldigt: "Also das Dorf ist überhaupt nicht gespalten", so Stückl, "alles ist ziemlich ruhig und es läuft gut."

Hebräische Gesänge

Jetzt, so kurz vor der Premiere, sind die Querelen beigelegt, sagt auch Bürgermeister Arno Nunn: "Der Ärger ist im Dorf, er war sicher da. Die Äußerungen waren sicher unglücklich. Das Dorf ist schon gespalten hinsichtlich einzelner Fragen, aber nicht durchgängig gespalten."

Vieles ist verändert worden für die neuen Passionsspiele. Erstmals werden die Sprecher leicht verstärkt, das neue Dach ermöglicht das Spielen auch bei Regen. Und: Erstmals lässt Spielleiter Christian Stückl hebräische Gesänge auf der Bühne anstimmen. Der Grund: "Das ist mir ein ganz großes Anliegen zu zeigen, dass Jesus aus seinem Jüdisch-Sein heraus agiert, und das 'Shma Israel' ist doch eines der ganz großen jüdischen Gebete und das wollte ich unbedingt in der Tempelszene mit drin haben."

Mit viel Herzblut dabei

Zum dritten Mal inszeniert Stückl in diesem Jahr die Passionsspiele seiner Heimatgemeinde, wieder steht auch sein Vater auf der Bühne. Viel Herzblut hängt an dieser Tradition, das kann der gefragte Regisseur nicht verleugnen.

Mit ebenso viel Herzblut hängt auch der Oberammergauer Komponist Markus Zwink an der Passion. Seit 1990 ergänzt er behutsam die Musik, die noch immer auf den Oberammergauer Lehrer Rochus Dedler von 1811 zurückgeht. Dass aus dem Laienthetaer mittlerweile eine stattliche professionelle Aufführung geworden ist, gehört dazu, so Zwink.

Jetzt wartet Oberammergau nur noch auf die Besucher. Aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise dürfte es dieses Jahr keine hundertprozentige Auslastung geben. Der Vorteil: Erstmals seit Jahrzehnten wird es dieses Jahr wieder leichter sein, kurzfristig Karten zu bekommen.

Service

Passionsspiele Oberammergau, 15. Mai bis 3. Oktober 2010, Oberammergau, Deutschland

Passionsspiele Oberammergau