... um zu leben wie ein Weißer

Ich werde rennen wie ein Schwarzer ...

Der "stern"-Reporter Christian Ewers ist mehrere Monate durch Afrika gereist und hat zahlreiche Fußballspieler und Trainer interviewt. Seine gesammelten Berichte und Reportagen ergeben ein vielfältiges Porträt eines sportbegeisterten Kontinents.

Hoffende Talente

Hier stranden viele afrikanische Fußballer, die es in Europa doch zu nichts gebracht haben: In Saint Denis, dem Vorort von Paris, in dem sich das Stade de France befindet, wo 1998 das Finale der Weltmeisterschaft stattfand, trainieren die, die keine Millionen gescheffelt haben. Sie versuchen sich in Form zu halten, hoffen auf ein Wunder - darauf, dass ein Talent Scout sie finden möge.

Sie lieben ihr Trikot. Sie waschen es jeden Tag, sie bügeln es, sie flicken und sie stopfen es. Nichts darf abblättern, nicht die Rückennummer, schon gar nicht das Vereinswappen. Sie lieben ihr Trikot, weil es erzählt von einer besseren Zeit, einer Zeit, als sie noch Geld verdienten mit ihrem Fußball, in den dritten und vierten Ligen Frankreichs, in der zweiten Liga Ungarns oder in der ersten Rumäniens.

Illegale Helden

Einer der Gestrandeten nennt sich Ordi. Wie er wirklich heißt, sagt er nicht, schließlich ist er illegal in Frankreich und zu den Existenzängsten kommt die Sorge, jederzeit abgeschoben werden zu können. Aus Kamerun stammt er und die schönste Woche seines Lebens war die, in der er beim RC Lens trainieren durfte. Jetzt schläft er in Metro-Schächten oder im Park. Oder teilt sich mit sechs Afrikanern ein Zimmer beim Gare du Nord.

Jeden Monat schickt er von den 300 Euro, die er irgendwie verdient, 100 Euro nach Hause. Wie es ihm wirklich geht, will in Kamerun keiner wissen. Schließlich ist er dort ein Held. Einer, der es nach Europa geschafft hat. Auf den gelobten Kontinent, wo alle reich sind und das Leben ein einziger Spaß ist.

Forscher zählen Legenden über das vermeintlich goldene Europa zu den starken "Pull-Faktoren", zu den Gründen, die Menschen aus ihrem Land "herausziehen" und zu Wanderern machen. Sie löst einen gewaltigen Sog aus, die Illusion, Europa sei ein Kontinent der Toleranz und Offenheit, der gut bezahlten Jobs und der täglich neuen Chancen.

Afrikanische Idole

In Afrika kennt jedes Kind die Kicker, die bei Europas Spitzenclubs spielen. Samuel Eto'o zum Beispiel. Champions League Sieger, Meister und Pokalsieger mit dem FC Barcelona und jetzt mit Inter Mailand erneut im Finale der Champions League. Ihm wollen sie nacheifern, so wie er wollen sie sein. Fußball ist für die Kinder in Afrika eine der wenigen Möglichkeiten, ihrem Elend zu entfliehen.

Nach Afrika gekommen ist der Fußball im 19. Jahrhundert. Arbeiter der britischen Eastern Telegraph Company spielten in ihrer Freizeit Fußball, Cricket und Feldhockey. Zuerst nur untereinander, nach und nach aber auch mit den Einheimischen.

Um 1871 wurde von Missionaren das St. Andrews College auf Sansibar gegründet. Fußball war ein wichtiger Teil des Lehrplanes; schien er den Mönchen doch bestens dazu geeignet, die in ihren Augen "faulen Afrikaner" zu zivilisieren und zu stabilisieren. Fußball sollte sie lehren, ihre eigenen Wünsche für ein höheres Ziel zu unterdrücken.

Ernüchterndes Europa

Haben es die Afrikaner dann wirklich nach Europa geschafft, dann kommt es sehr schnell zu Ernüchterung. Auch hier ist nicht alles Gold, und selbst wenn die Fußballer zu einem guten Club kommen, haben sie oft große Probleme.

Oliver König ist einer, der versucht, diese Probleme zu lösen. Eigentlich vermittelt er Fußballer. Aber er ist viel mehr. Die afrikanischen Kicker rufen ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit an - sie wollen Rat und vor allem Trost.

Lange Zeit hat sich König aus dem Transfergeschäft mit Spielern aus Afrika zurückgezogen. Er konnte ganz einfach nicht mehr. "Die Caritas für die Fußballer" sei er gewesen, meint er im Interview. Aber jetzt ist er wieder voll im Geschäft. König erklärte den Afrikanern Deutschland und er erklärte den deutschen Trainern Afrika.

Ich habe damals viele Anrufe von Trainern bekommen, die sich bei mir beschwert haben: Hör mal, dein Schwarzer hat die ganze Bude voll mit Verwandten, der soll sich mal lieber auf Fußball konzentrieren! Ich habe dann geantwortet: Wenn du willst, dass er floppt, dann reiß ihm das Herz raus und verbiete ihm den Besuch. Afrikanern ist die Familie heilig, sie leben für die Familie.

Lokale Recherche

Christian Ewers ist für sein Buch mehrere Monate durch Afrika gereist. Er besuchte die erfolgreiche Fußballschule Sol Béni an der Elfenbeinküste, deren Absolventen heute einen Großteil der Nationalmannschaft stellen.

Ebenso besuchte er die Fußballakademie von Ajax Amsterdam in Kapstadt, die im Gegensatz zu Sol Béni überhaupt keinen Erfolg erzielen konnte, weil man hier nicht auf die Afrikaner einging, sondern stur nach holländischem Rezept verfuhr. Ajax sei ein Sinnbild für die europäische Arroganz, meint Ewers, ein Beispiel dafür, dass mit kolonialer Attitüde nichts mehr zu erreichen sei.

Ewers berichtet über ein aus politischen Gründen geschobenes Spiel, das heute noch den Fußball in Sansibar lähmt, über die überall spürbare Hoffnung und die überall sichtbare Verzweiflung. Sein Buch ist nicht nur eine ausgezeichnete Einstimmung auf die Fußball WM, es ist auch das Porträt eines Kontinents, der nach vorne drängt und um Anerkennung ringt. Der viele Möglichkeiten hat, aber doch wieder scheitert. An den Anderen; aber auch an sich selbst.

Service

Christian Ewers, "Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer. Die Tragödie des afrikanischen Fußballs", Gütersloher Verlagsanstalt

Gütersloher Verlagshaus