Ausländerfrage im Hintergrund

Niederlande: Krise als Wahlkampfthema

Im Zeichen der Euro- und Staatsschuldenkrise wird am Mittwoch in den Niederlanden die Parlamentswahl abgehalten. Spitzenreiter sind zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Liberalen, die einen strengen Sparkurs vertreten. In die Regierung will aber auch der mit seinen ausländerfeindlichen Parolen bekannt gewordene Rechtspopulist Geert Wilders.

Morgenjournal, 08.06.2010

Medienwirksame Auftritte

Wo Geert Wilders auftaucht, herrscht Aufregung. Bei seinem Wahlkampfauftritt in Rotterdam scharen sich mehr internationale Journalisten, Polizisten und Parteimitstreiter um ihn als potentielle Wähler. Der Chef der Partei für die Freiheit fährt einen scharfen Ausländerkurs, vor allem muslimischen Einwanderern gegenüber. Eine Kopftuchsteuer und ein Zuwanderungsverbot für Muslime zählen zu seinen Forderungen. Seine Vorstellungen will Geert Wilders nach der Wahl mit einer Rechtskoalition umsetzen: "Eine Regierung mit den Christdemokraten, den Liberalen und mir wäre eine starke Regierung. Wir könnten die Einwanderung und die Kriminalität bekämpfen. Aber wir hätten auch ein besseres Konzept für die ältere Bevölkerung."

Nur auf Platz vier

Tatsächlich mischt Geert Wilders laut Umfragen vorne mit, bei der Regierungsbildung könnte er das Zünglein an der Waage sein. Doch er wäre mittlerweile eben nur noch das Zünglein an der Waage - in den Umfragen liegen er und seine Partei für die Freiheit nur noch auf Platz vier. Im Frühjahr haben ihn die Meinungsforscher noch als potentiellen Wahlsieger ausgemacht.

Wirtschaft im Vordergrund

Wilders Höhenflug wurde durch die Euro- und Staatsschuldenkrise abrupt gestoppt, analysiert der Politikwissenschaftler André Krouwel: "Bei dieser Wahl geht es nicht um Einwanderung, sondern es geht um die Wirtschaft. Die Menschen auf der Straße reden über die künftige finanzielle Sicherheit. Das ist interessant. Die Niederländer wählen Parteien, die sagen wir streichen 20, 30 Milliarden Euro vom Budget. Welches Wahlvolk applaudiert, wenn einem der Sozialstaat genommen werden soll? Nun, die Niederländer."

"Staat hat zu viel ausgegeben"

Und so steht nun derjenige an der Spitze der Umfragen, der besonders viel sparen will. Mark Rutte, der Spitzenkandidat der Liberalen, geht mit dem ambitioniertesten Sparpaket ins Rennen. Der ehemalige Personalchef von Unilever verlangt von den Niederländern Einsparungen in der Höhe von 39 Milliarden Euro. Dafür soll unter anderem das Pensionsantrittsalter um zwei Jahre auf 67 erhöht werden. Die Wähler hätten verstanden, dass der Staat nicht länger auf Pump leben könne, meint Rutte: "Die Leute in den Niederlanden haben begriffen, dass es der Wirtschaft sehr schlecht geht, dass der Staat zu viel ausgegeben hat. Damit sind sie weiter als viele Politiker, die immer noch glauben, nicht eingreifen zu müssen."

"Historische Wahl"

Zwar ist noch gut ein Viertel der niederländischen Wähler unentschlossen, dennoch hält es der Politologe für unwahrscheinlich, dass die sozialdemokratische Arbeiterpartei - derzeit auf Platz Zwei in den Umfragen - die Liberalen noch einholen kann. Von den Christdemokraten, die in den bisherigen Regierungschef Jan Peter Balkenende stellen, derzeit auf Platz drei, ganz zu schweigen, sagt André Krouwel: "Zum ersten Mal seit hundert Jahren werden die Liberalen wahrscheinlich die Wahl gewinnen. Wir werden einen liberalen Premier haben, denn viele rechte, konservative Wähler wandern von den Christdemokraten zu den Liberalen - einer Partei, die zuletzt im ersten Weltkrieg eine Parlamentswahl gewonnen hat. Daher ist diese Wahl historisch."

Langwierige Regierungsbildung

Der eigentliche Nervenkrieg beginnt jedoch erst nach dem Wahlabend. Denn dann muss eine Koalition gebildet werden. Absolute Mehrheiten sind in den Niederlanden, wo derzeit 10 Parteien im Parlament vertreten sind, nahezu ausgeschlossen. So kann es selbst bis Weihnachten dauern, bis die neue niederländische Regierung steht.

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