Kunst statt Erdöl

Das saudische Wunder

Plötzlich bricht eine neue Generation junger saudischer Künstler auf und zeigt, dass selbst im konservativsten Land der Welt Bewegung möglich ist. Eine Künstlerinitiative stellt sich nun in Berlin vor.

Kulturjournal, 15.06.2010

Saudi-Arabien gilt als Epizentrum des weltweiten Islamismus. Von hier aus wird der religiöse Fundamentalismus in die ganze Welt exportiert. Die menschenrechte scheinen Lichtjahre entfernt, eine Kritik am König kann zum Todesurteil führen, Frauen dürfen nicht einmal den Führerschein machen.

Der Westen aber nimmt Saudi-Arabien vor allem als Erdölproduzent war: 25 Prozent des Welterdöls werden hier gefördert - mehr als irgendwo sonst auf dem Planeten.

Künstlerinitiative "Edge of Arabia"

Von Kunst war in diesem Land bisher wenig zu sehen. Doch jetzt hat sich erstmals eine Künstlerinitiative gebildet. Sie heißt "Edge of Arabia", umfasst rund ein vorwiegend junger und Künstler - und sie stellt sich nun in Berlin vor, an einem neuen Ausstellungsort, dem Soho-Haus in der Torstraße 1.

Ein Land ohne Kino
Saudi-Arabien, Geburtsstätte des radikalen Islam. Die Sklaverei wurde hier erst 1963 abgeschafft. Ein Land, in dem es nicht mal ein Kino gibt. Und jetzt plötzlich moderne Kunst?

Vor sechs Jahren rumpelte der britische Künstler Steven Stapleton in einem alten Bus durch die arabische Halbinsel und machte eine erstaunliche Entdeckung: Auch in Saudi-Arabien gibt es Künstler, Menschen, die größtenteils noch nie im Ausland waren und die in Dörfern und Städten ihre ganz eigene Art von Kunst entwickelten. Daraus entstand die Initiative "Edge of Arabia" - eine Künstlergruppe, zu der inzwischen sogar eine Prinzessin des Königshauses gehört.

"Wir wollen die Identitätskrise zeigen, die die islamische Welt erfasst hat", so der Kurator Sami Farook. "Saudi Arabien ist das Zentrum und der Geburtsort des Islam. Es ist das Herz des Islam. Es ist für die Moslems das, was für die Juden Jerusalem ist und für die Katholiken der Vatikan. Ich habe Angst, dass der extreme Islamismus die Vorherrschaft gewinnt, aber ich spreche für den gemäßigten Teil des saudischen Volkes - und für die Kunst, die genau diesen gemäßigten Islam will."

Starke Formensprache

Fast über Nacht haben saudische Künstler eine starke Formensprache gefunden. Zum Beispiel Ahmed Matter. Er arbeitet mit ungewöhnlichen Materialien: mit Röntgenstrahlen und mit Magnetismus. Matter ist kein Fulltime-Künstler, er verdient sein Geld als Arzt in einem Krankenhaus. Aber er macht fantastische Kunst. Und er produziert gegen den Wahnsinn des Öls und der Ölförderung, der die ganze Region bedroht.

"In der Golfregion hängt fast alles vom Öl ab", so Matter. "Aber wo sind eigentlich die Menschen? Es scheint, als habe nicht der Mensch die Region geprägt, sondern das Öl. Das Öl aber kann ein Fluch sein. Wir dürfen unser Leben nicht vom Öl diktieren lassen."

Zapfhahn und Pistole

Matters Kunstwerke ziehen den Zuschauer schon beim ersten Blickkontakt schlagartig in den Bann. Zum Beispiel diese Zapfsäule, aus der ein Zapfhahn heraushängt. Die Zapfsäule verschmilzt in einer Folge von Bildern Schritt für Schritt mit dem Körper eines Menschen: blau eingefärbten Röntgenbildern vom Kopf und Oberkörper. Und der Zapfhahn wird zur Pistole, die sich die geisterhafte menschliche Figur an den Kopf hält - ein Menetekel und wohl auch eine Kritik an der saudischen Regierung, die rücksichtslos auf Ölexporte setzt.

Der Soldat als Künstler

Der Bekannteste unter den saudischen Künstlern ist Abdelnassr Ghareem, der bereits in Sharjah und in Berlin zu sehen war. Auch er ist kein Profikünstler im westlichen Sinn, sondern im normalen Leben - Soldat. Er exerziert jeden Tag mit seiner Truppe, und er hat im letzten Winter an der Front zum Nordjemen gekämpft. Künstler ist er in seiner Freizeit - aber darüber beklagt er sich nicht.

"Es gibt in Saudi-Arabien praktisch keine Galerien, keine Museen, keine Kunstbücher", erzählt er. "Ich habe mir gesagt: Na ja, die brauche ich auch nicht. Ich zeige meine Kunst da, wo ich Menschen finde, auf der Straße. Ich bin der erste, der Performances in Saudi Arabien macht. Performances sind mächtig - das, was Mahatma Ghandi gemacht hat, war ja auch eine Performance, egal ob er es so gemeint hat oder nicht. Meine Rolle als Künstler: Ich kann ein Funken sein."

Sozial engagierte Kunst

Ghareems Kunst ist sozial engagiert. So hat für den Erhalt eines Dorfes gekämpft, das die Regierung abreißen wollte, indem er T-Shirts mit der Aufschrift "abrissbereit" verteilte und selbst anzog - um zu zeigen, dass hier nicht nur Häuser beseitigt werden sollen, sondern auch Menschen. Abdelnassr Ghareem hat sogar beim König protestiert - in Saudi-Arabien ein ziemlich einmaliger Vorgang.

Der Künstler hat auch einen Torbogen aus Mekka nachgebaut, durch den bei der Hadj, der Pilgerfahrt, alle Moslems gehen müssen. Doch in sein Imitat dieses grandios geschmückten Bogens hat der Künstler einen Metalldetektor eingebaut, der jeden Moslem wie in einem Flughafen nach Waffen abtastet. Die Kaaba, der heiligste Ort, wird damit zu einer Art Sicherheitszone, die Muslime erscheinen als Menschenmasse unter Verdacht.

Positives Zeichen außerhalb Saudi Arabiens

Könnte diese kritische Ausstellung auch in Saudi-Arabien gezeigt werden? Nein, das könnte sie nicht, sagt der Kurator, und fügt hinzu: noch nicht. Es sei Zeit, dass sich das Denken in Saudi Arabien öffnet, aber im Ausland will "Edge of Arabia" schon mal ein positives Zeichen setzen.

Immerhin: Ds findet sich sogar eine Prinzessin unter den Künstlern von Edge of Arabia. Sie zeichnet Umrisse von Menschen, die sie aus Fotos ihrer Freunde und Familie abmalt, Figuren im avancierten Comic-Stil, aber diesen Figuren fehlt eines: ein Gesicht.

"Wir wissen in Saudi Arabien nicht, wie wir mit Fotos umgehen sollen. Wir haben natürlich alle Fotografien zu Hause. Aber in der Öffentlichkeit zeigen wir unser Gesicht nicht. Das ist ein Tabu. Wir sind gesichtslos. Das hängt nicht so sehr mit der Religion zusammen, mehr mit den Bräuchen und der Kultur. Was im privaten Raum akzeptabel ist, ist im öffentlichen Raum streng verboten", so Prinzessin Jowhara al-Saud.

Königshaus mit 6.000 Mitgliedern

Aber aufschlussreicher als was sie sagt, ist das, was sie nicht sagt. Wie ist das eigentlich, heutzutage eine Prinzessin in Saudi Arabien zu sein? Eins von 6.000 Mitgliedern des Königshauses, in das die gesamten Einnahmen aus dem Ölgeschäft fließen - unvorstellbar viele Milliarden Dollar - während das Volk großenteils im Elend lebt und hungert und sich umso mehr den radikalen Wahhabiten anschließt? Da schweigt die schöne, hochgewachsene, ein bisschen arrogante Prinzessin, sie mag nur über ihre Kunst reden - nicht über so "irrelevante" Dinge wie ihr Leben. Und fotografieren lässt sie sich natürlich auch nicht. Es ist nicht einmal üblich, einer saudischen Prinzessin die Hand zu reichen.

Ahmed Matter, der Arzt, hat schon von Berufs wegen weniger Angst vor Körperkontakt. Und er hat eines der wunderbarsten Kunstwerke der arabischen Welt geschaffen. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Bild von der Kabaa in Mekka, um die sich in konzentrischen Kreisen Pilger bewegen. Aber dann wird deutlich: Dies ist nicht die Kaaba, sondern ein Magnet, und nicht Pilger sind zu sehen, sondern Eisenspäne, die sich ebenso rund um den Magneten scharen wie die Pilger. Ein unglaubliches, verstörendes Kunstwerk, das unendlich viele Fragen aufwirft. So, wie es großartige Kunst tut.

"Ich habe als Kind viel mit Magneten gespielt - so wie wir alle" sagt Matter. "Als Erwachsener habe ich dann Experimente gemacht und gesehen, wie sich Eisenspäne um einen Magneten anordnen. Dann kam ich auf die Idee der Hadj, der Pilgerreise. Wenn man Pilger fragt, die aus Mekka zurückkommen: Wie war es vor der Kaaba, dann sagen sie oft: Es war wie ein elektrischer Strom, einen Magnetismus, der einen um die Kaaba zieht."

Service

Edge of Arabia - Berlin 2010
Soho House Berlin