Neue Aufnahmen von Philippe Jaroussky

Opium

Das gab es noch nie: die Countertenor-Stimme als Instrument für französische "mélodies" aus der Ära der "décadence". Philippe Jaroussky betritt mit "Opium" Neuland und löst sofort den "so-und-nicht-anders"-Effekt aus.

Countertenöre auf Eroberungs-Feldzug

Dass sich "Originalklang"-Ensembles mit historischem Instrumentarium bis weit in die Romantik vorarbeiten - bis zu Wagner, ja sogar Ravel -, ist nichts Neues. Aber dürfen sich Stimm-Charaktere, die unser Hör-Bewusstsein so sehr mit historischer Aufführungspraxis in Bezug setzt wie Countertenöre, deshalb auch Musik aneignen, die für "normale" Stimmen geschrieben wurde?

Ein Max Emanuel Cencic hat unlängst eine (übrigens großartig gelungene) Rossini-Arien-CD herausgebracht, mit Ausschnitten aus Opern, die Gioachino Rossini großteils nicht für Kastraten (es gab sie noch zu seiner Zeit!), sondern für Mezzosopranistinnen komponiert hat. Zu seiner Rechtfertigung kann Cencic allerdings vorbringen, dass sich das bei und rund um Händel gebräuchliche "gender-switching" auf der Opernbühne bis in die Rossini-Ära gehalten hat. (Unvergesslich die eine Aufnahme, in der Marilyn Horne einmal die Basspartie des Silva aus Verdis frühem "Ernani" sang - nach historischem Vorbild!)

Camille Saint-Saens' Lied-gewordener Opiumrausch

Wenn Cencics französischer Fachkollege Philippe Jaroussky, "everybody's darling" unter den jungen Countertenören von heute, aber eine CD mit französischen Salonliedern der Romantik und des frühen 20. Jahrhunderts aufnimmt, dann wandelt er auf den Spuren des amerikanischen Vorzeige-Counters David Daniels, der schon vor Jahren begonnen hat, Liederabende mit Schubert und Gounod und Zeitgenössischem zu geben.

"Opium" lautet der Titel dieser neuen Jaroussky-CD: Er leitet sich ab von einer Nummer des Programms, in der Camille Saint-Saens zu sich in verknoteten Drehbewegungen überstürzender Klavierbegleitung einen Opiumrausch in zweieinhalb Minuten Klang werden lässt.

Salonlieder im Zeichen der "décadence"

Philippe Jaroussky spielt also (nicht nur diesmal) mit dem Hauch an Dekadenz, ja Laszivität, die bei einer im weiblichen Register singenden Männerstimme trotz aller Gewöhnung der letzten Jahrzehnte immer noch mitschwingen mag. Mit beneidenswerter stimmlicher Klarheit, ohne Drücker, ohne Schnörkel, ohne aufgesetztes Ausdrucks-Vibrato bringt er die allesamt melodisch attraktiven, schwelgerischen "mélodies" eines Ernest Chausson, Gabriel Fauré, Paul Dukas und Claude Debussy, oder auch: Gabriel Dupont, Guillaume Lekeu und Vincent d'Indy zum Klingen.

Regelmäßig eingestreut ist rhythmisch pikant "Spanisches" - auch von Cécile Chaminade, deren Arbeiten vor nicht langer Zeit noch als reiner "Kitsch" abgetan wurden, es in derart meisterlicher Wiedergabe aber nicht sind.

Barock-Stilkopien, instrumentale Farbtupfer

Ist es, weil Jaroussky ja doch zur "Alten Musik" gehört, dass die paar Piècen, die eine Barock-Stilkopie bieten, besonders ins Auge springen? Reynaldo Hahns "A Chloris" kommt total "bachisch", und auch das "Sonnet" von Paul Dukas macht auf altertümlich. Zur Unterstützung hat sich Philippe Jaroussky bei der "Opium"-CD nicht nur seinen (untadeligen) Klavierbegleiter Jérome Ducros geholt, sondern für Einzelnummern von Jules Massenet, André Caplet und Camille Saint-Saens auch - alle prominent! - den Geiger Renaud Capucon, den Cellisten Gautier Capucon und den Flötisten Emmanuel Pahud.

Barock-Fans müssen sich aber keine Sorge machen: Die nächste, wieder geziemend traditionelle CD-Neuerscheinung mit Philippe Jaroussky ist bereits heraußen! Mit dem Titel "Stabat mater" bringt sie, unter Umgehung des Jahresregenten Giovanni Battista Pergolesi, Motetten, die von (teils unbekannten) Komponisten zwischen Frescobaldi und Legrenzi, zwischen Rom und Venedig, für die Jungfrau Maria komponiert wurden.

Service

"Opium. Mélodies francaises", Philippe Jaroussky, Jérome Ducros, Renaud Capucon, Gautier Capucon, Emmanuel Pahud, Virgin

"Stabat Mater", Musik von Alessandro Grandi, Giovanni Legrenzi, Francesco Cavalli, Giovanni Antonio Rigatti, Giovanni Paolo Caprioli, Girolamo Frescobaldi, Giovanni Felice Sances, Giovanni Battista Bassani, Andrea Mattioli, Girolamo Casati und Giovanni Paolo Colonna, Philippe Jaroussky, Marie-Nicole Lemieux und L'Ensemble Artaserse, Virgin

"Rossini Opera Arias & Ouvertures", Max Emanuel Cencic, L'Orchestre de chambre de Geneve, Michael Hofstetter (Dirigent), Virgin

EMI - Philippe Jaroussky

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