Ausstellungsmacher mit Haft bedroht
Russlands schwieriges Verhältnis zur Meinungsfreiheit
Micky Maus auf einem Heiligenbild und Jesus als Werbefigur - wegen einer Ausstellung mit solchen Werken sollen zwei Moskauer Kunstexperten drei Jahre ins Straflager. So jedenfalls will es der russische Staatsanwalt Alexander Nikiforow, der den beiden Intellektuellen Andrej Jerofejew und Juri Samodurow Aufwiegelung zu religiösem Hass vorwirft.
8. April 2017, 21:58
Der international angesehene Kunsthistoriker Jerofejew (53), der schon seinen Job in der weltberühmten Tretjakow-Galerie verlor, fürchtet um seine Freiheit. Am 12. Juli will das Gericht das Urteil fällen in einem Prozess, in dem es auch um die Kunstfreiheit in Russland geht.
Weitere Eindchränkung der Meinungsfreiheit
Als Staatsanwalt Nikiforow im Moskauer Gericht nach gut einjähriger Prozessdauer dieses Strafmaß forderte, atmeten die russisch-orthodoxen Christen auf. Erleichtert hoben sie Ikonen, ihre echten Heiligenbilder. Was die russische Kunstwelt seit einem Jahr mit einer Mischung aus Empörung und Erstaunen verfolgt, gilt im neuen Russland - also seit dem Zerfall der Sowjetunion - als einmaliger Vorgang. Prozesskritiker sprechen von dem Versuch, die freie Meinungsäußerung in Russland noch weiter einzuschränken.
Aus Sicht der Verteidigung hätte sich der Staat mit einem solchen Prozess nie in den ganz normalen Streit über Kunst einmischen dürfen. "Museen gelten nicht als Orte religiöser Verehrung und haben das Recht, Ausstellungen zu organisieren - auch solche mit moderner Kunst", sagte Jerofejews Anwältin Anna Stawizkaja. Es gebe im Alltag vieles, was die Gefühle von Menschen verletzen könne. Dafür reiche es, den Fernseher anzuschalten.
Weitreichende Anklage
In ihrer Ausstellung "Verbotene Kunst" im Moskauer Sacharow-Museum setzten sich Jerofejew und Samodurow 2007 mit religiösen und politischen Tabus in der russischen Kunstwelt auseinander. Sie trugen die Werke international anerkannter russischer Non-Konformisten der 1970er Jahre zusammen, unter ihnen Ilja Kabakow und Michail Roginski. Insgesamt begutachtete das Gericht neun Bilder, darunter auch eine Kaviar-Ikone - die Urheber dieser Werke standen nicht vor Gericht.
Doch der Anklage geht es um mehr. Sie wirft den beiden Beschuldigten auch "Russophobie" und die "Erniedrigung der Menschenwürde" vor. Auch Jerofejews Bruder, der in Deutschland viel gelesene Viktor Jerofejew ("Russische Apokalypse"), sah sich wiederholt solchen Anfeindungen ausgesetzt.
" Kampf der Kulturen"
Nicht genug, dass auch Samodurow seinen Posten als Direktor des Sacharow-Museums verlor. Wegen der Ausstellung werden die beiden seit langem bedroht - von religiösen Fanatikern, wie sie sagen, und von Rechtsradikalen. Samodurow machte aber wiederholt deutlich, dass ihm viele der Arbeiten selbst missfallen hätten. "Aber ich kann doch nicht sagen: Gefällt mir nicht, also ist das keine Kunst!"
Experten sehen deshalb den Prozess auch als Kulturkampf zwischen konservativen Positionen im Museum und dem Streben junger Kunstwissenschaftler nach einer Erneuerung des sowjetisch-verstaubten Kunstbetriebs. Was die Gegner dieser Kunst eint, ist die "Angst vor einem Sittenverfall" in der russischen Gesellschaft, die eine "westliche Freizügigkeit" noch immer in großen Teilen ablehnt.
Menschenrechtler wie Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki-Gruppe hatten zum Prozessauftakt in einem offenen Brief vor "Zensur und Selbstzensur" gewarnt. "Für uns ist die politische Motivation hinter dieser Anklage klar", hieß es in dem Schreiben von 2008. Das Verfahren erinnere an die Inquisition. Der Staat versuche, die künstlerische Auseinandersetzung mit Religion zu kriminalisieren und die ästhetischen Positionen der Kirche zum Maß der Dinge und zum Grund für die Zensur zu machen. Immerhin aber entschuldigte sich Jerofejew nun beim russisch-orthodoxen Patriarchen in einem Brief: Er habe nie die religiösen Gefühle von Menschen verletzen wollen.
Text: Ulf Mauder, dpa