Südafrika abseits der Fussball-WM
Leben mit AIDS
Die ganze Welt blickt derzeit auf die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika. Die großen Probleme abseits des Sports gehen dabei in der Berichterstattung oft unter. Eines dieser Probleme ist die Verbreitung der Immunschwächekrankheit AIDS. Die Hilfseinrichtung Nkosis Haven kümmert sich um Mütter und Kinder, die HIV positiv sind oder AIDS haben.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 23.06.2010
Jeder Vierte infiziert
Südafrika hat eine der höchsten AIDS-Raten der Welt. Jeder vierte Südafrikaner im Erwachsenenalter ist mit dem HI-Virus infiziert, in der Altersgruppe zwischen 14 und 25 Jahren ist die Zahl noch weit höher. Grenzenlose Armut, Mangel an Bildung und mangelnde Aufklärung sind Faktoren, die dazu führen, dass viele Menschen mit der Krankheit alleine gelassen werden.
"Etwas tun für Mütter und Kinder"
Nkosis Haven – Nkosis Oase: so heisst die Hilfseinrichtung, die in Südafrika AIDS-kranken Müttern und Kindern aus den ärmsten Verhältnissen ein halbwegs angemessenes Leben ermöglicht. Nkosi, das war der weit über Südafrikas Grenzen hinaus bekanntest AIDS-Kranke, ein Bub, der schon mit HIV im Mutterleib infiziert wurde. Adoptiert von Gail Johnson, die heute Nkosis Haven betreibt, starb er im Alter von 12 Jahren nachdem er eine aufsehenerregende Rede vor der AIDS-Konferenz in Durban gehalten hatte.
Sein Wunsch war es, etwas für AIDS-kranke Mütter und Kinder zu tun, erzählt seine Mutter Gail Johnson. "Er sagte zu mir: Mami hat sich nie verabschiedet. Ich habe ihn gefragt, ob wir etwas für Mütter und Kinder machen sollten, und er sagte Ja – so hat es angefangen mit Nkosis Haven."
Finanziert aus Spenden
Heute hat die Einrichtung drei Standorte. Eine kleine Einheit in Johannesburg, wo derzeit 12 Mütter und 23 Kinder leben, ein Bauernhof etwas außerhalb, der geführt wird wie ein Kibbutz, und ein großer Komplex, der Village genannt wird. Hier gibt es sieben Wohngebäude für insgesamt 120 Mütter und Kinder, dazu Gemeinschaftsräume, eine Großküche, eine Wäscherei, eine Bäckerei, eine kleine Bibliothek, einen Kindergarten und Therapiezentren. Laufend finanziert wird das alles ausschließlich aus Spenden, der Staat hat lediglich das Grundstück zur Verfügung gestellt.
Lebenswerte Atmosphäre
Das liegt daran, dass Nkosis Haven in keine Kategorie fällt, die der Staat subventioniert, erklärt Johnson. "Wir sind keine Kindereinrichtung, kein Hospiz, kein Unterschlupf." Die meisten Spenden kommen aus den Niederlanden, in Südafrika ist der größte Spender ausgerechnet der Gospel Chor aus dem Armenviertel Soweto. Gail Johnson hat dafür gesorgt, dass hier eine lebenswerte Atmosphäre entstanden ist. Die Gebäude sind außen und innen in bunten Farben gehalten, es gibt einen kleinen Sportplatz und frei Flächen zwischen den Häusern.
Ungewissheit
Die Frau, deren ernstes Gesicht von langen roten Haaren eingerahmt wird und die ihre Gäste durch eine kleine rechteckige Brille scharf mustert, weiß aber, wie schwer es die Mütter und Kinder hatten. Viele sind von ihren Männern nach der AIDS-Diagnose vor die Türe gesetzt worden, wissen nicht, ob ihre Kinder infiziert sind. Kinder sind Opfer von Vergewaltigung und wurden dabei auch noch mit dem HI-Virus infiziert.
Disziplin und Eigeninitiative
Viele Mütter können kaum englisch, geschweige denn Lesen und Schreiben in dieser Sprache. In Nkosis Haven bekommen sie Therapien und – mit sehr strikten Regeln – ein kleines Stück Leben zurück. "Wir bilden sie aus und stellen sie an, wenn sie Initiativen zeigen. Manche müssen wir wegen mangelnder Disziplin auch wieder hinauswerfen, und manche sind auch gestorben", sagt Gail Johnson.
"Bin glücklich hier"
Charity ist eine der Mütter, die hier vor einem Jahr Unterschlupf gefunden hat, nachdem ihr Mann sie sexuell missbraucht, mit AIDS angesteckt und dann samt den beiden Kindern hinausgeworfen hat. "Ich bin glücklich hier, weil hier kann ich in Ruhe leben. Wir bekommen gesundes Essen, es gibt Sozialarbeiter, kurz: alles, was man braucht. Daher geht es mir gut", sagt Charity. Sie arbeitet zwei Mal pro Woche in der Küche, darüber hinaus auch noch bei der Hausinternen Putztruppe.
Esnait hat ein ähnliches Schicksal, aber eine Unterhaltung mit ihr ist schwierig, englisch lesen oder schreiben kann sie nicht, es reicht gerade für ein paar Sätze, um zu beschreiben, was sie in Nkosis Haven arbeitet: sie eskortiert Gäste ins Haupthaus und die Kinder zur Schule.
Verpflichtende Sexualerziehung
Erwachsene Männer dürfen nicht am Gelände leben, Sex ist strikt verboten, wer eine Beziehung will, hat ein Wochenende im Monat Ausgang. Sexualerziehung, inklusive AIDS-Vorbeugung und Schwangerschaftsverhütung ist verpflichtend. Kondome und Verhütungsmittel gibt es gratis. Und was ist mit Teenagern, deren Schwangerschaftsrate in Südafrika astronomisch hoch ist? Gail Johnson: "Nicht hier, ich würde sie umbringen. Dreimal auf Holz geklopft, wir hatten das bisher nicht, weil wir sie intensiv über AIDS und Sex aufklären."
Aufklärung
Natalia ist Bibliothekarin, eine Kanadierin, die freiwillig drei Monate hier arbeitet. Sie hat zum Beispiel eine neue Methode mitgebracht, um Kinder vorzubereiten: "Ich habe Bilderbücher mitgebracht, um über AIDS in einer möglichst einfachen und sensiblen Art aufzuklären." Dennoch ist es für Kinder eine traumatisch Erfahrung, wenn sie erfahren, dass sie HIV positiv sind – egal, ob durch Geburt oder eine ebenfalls traumatische Vergewaltigung.
"Manchmal muss alles raus"
Zwei Teenager stehen deshalb unter Suizid-Beobachtung und bekommen, wie viele Mütter hier auch, Medikamente gegen Depressionen. Schaffen es die Mütter, sich mit der Zeit ein selbständiges Leben aufzubauen? "Die meisten müssen wir auch draußen unterstützen, da bekommen sie dann Essenspakete. Keine hat es bisher geschafft, auch nur einen Job als Rezeptionistin zu ergattern – das wäre auch umwerfend", sagt Gail Johnson.
Verzweiflung hat sich bei ihr noch nie breit gemacht, trotz all dessen, was sie schon gesehen und erlebt hat. Nur manchmal muss alles raus: "Da zünde ich mir dann eine Zigarette an und verliere die Beherrschung."