Ein Nachruf auf das Schwarze

Kein Platz für Weltrevolution

Seit zwei Jahren schon bringe ich meine Tochter in der Früh zur Schule. Der Schulweg führt am Schwarzen Cafe vorbei. Manchmal klebt Kotze davor auf dem Gehsteig. Normalerweise empfinde ich keinerlei Sympathien für derartige Vorkommnisse.

Aber, es mag seltsam klingen, dort stört mich das nicht. Irgendetwas bringt mich in aller Früh sogar zum Schmunzeln. Sogar im Winter, wenn es um fünf vor acht noch immer nicht hell wird, die Tochter müde ist und die Temperaturen ungemütlich sind. Warum, bitte sehr, ist das Schwarze Cafe der einzige Ort auf der Welt, wo es mich nicht nur nicht stört, wenn ich in der Früh vorbei gehe und über Erbrochenes hinweg steigen muss, sondern sogar ein wenig Freude verspüre. Jetzt - wo es zugesperrt wird - glaube ich es zu wissen.

Das Schwarze Cafe war nie mein Stammlokal. Hin und wieder war ich dort. Es war immer da. Vor allem dann, wenn mich die Welt ankotzte. Das ist in den letzten dreißig Jahren gelegentlich vorgekommen. Das Schwarze war stets ein Ort, an dem ich so sein konnte, wie ich war, wohin man gehen konnte, um nicht zu sehen und nicht gesehen zu werden.

Es war kein idealer Ort für Selbstdarsteller. Die waren zwar auch da. Aber sie wurden von einem Ambiente geschluckt, das sich durch seinen nicht erkennbaren Gestaltungswillen auf sympathische Weise auszeichnete. Fürs Schwarze machte man sich nicht fesch. Hier musste niemand über das blumige Sekundärbouquet eines edlen Tropfens diskutieren. Wer hier ein Viertel bestellte, wurde bestenfalls gefragt: rot oder weiß? Sein Abgang - ob rot oder weiß - hatte stets eine leicht pelzige Note.

Was ein ordentlicher Nachruf sein soll, beinhaltet Formulierungen wie "wurde über alle Parteigrenzen hinweg geachtet". Das passt insofern, als rosabackige Jung-ÖVPler, gutsituierte Sozialdemokraten, Blaue sowieso und selbst kultivierte Grüne respektvollen Abstand hielten.

Das Schwarze war ein politisches Lokal. "Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie" steht über dem Eingang. Innen blickt Che entschlossen von der Wand in Richtung Bar. Der rote Stern leuchtet im Logo den Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das Schwarze Cafe war nie eine Keimzelle des linken Widerstandes. Das Schwarze war kein Cafe Central. Keine einzige Reinkarnation von Lenin habe ich dort gesehen. Und ich wette: Niemals wird in Geschichtsbüchern von konspirativen Treffen im Schwarzen Cafe zu lesen sein. Der eine oder andere einschlägige Gedanke in Richtung Weltrevolution mag dort schon aufgekommen sein. Aber das war auch schon alles. Spätestens nach dem darauf folgenden Getränk war dieser nur mehr halb so wild. Blauer Dunst und fortgeschrittene Stunden erstickten das übrige. Und wozu hudeln? Morgen war ja auch noch ein Tag. Regelmäßige Lokalbesucher, so glaube ich, wussten immer, wen sie wählen würden. Bloß die reaktionären Öffnungszeiten des Wahllokals standen der staatsbürgerlichen Pflicht im Wege.

Geraucht wurde so manches, aber vor allem viel. So viel, dass sogar die Schnürsenkel noch Wochen nach einem Besuch daran erinnerten. Das Schwarze Cafe war übrigens die erste Assoziation, die ich hatte, als ich von einer Nichtraucherregelung in Lokalen gehört habe. Eine vernünftige Sache ist das, hab ich mir gedacht. Aber wie "die da oben" das im Schwarzen durchsetzen wollen, das schau ich mir an. Und ich musste schmunzeln.

Am 1. Juli wird's ernst. Eine Institution sperrt zu. Nicht wegen der Nichtraucherregelung. Nein, viel schlimmer. Man hat ihnen ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen konnten.

Jahrelang trotzte das Schwarze wie ein erhobener Zeigefinger dem Spekulationsobjekt, in dem es sich befand. Die Wohnungen des Gründerzeithauses waren großteils schon leer. Dann wurde das ganze Haus generalsaniert. Die Fassade bekam einen pistaziengrünen Anstrich, der sensible Mägen in die Nähe der Belastungsgrenze führt. Und zum Abschluss - es ist nicht zu fassen - wurde das Schwarze Cafe noch rausgekauft. Ich bin - den guten Ton eines würdigen Nachrufes beizubehalten versuchend - "bestürzt" und "tief betroffen". Vor allem bestürzt. Und wenn dann noch statt dem Schwarzen eine Garage reinkommen sollte, werde ich wohl selbst auf den Schulweg speiben müssen.

Service

"Außer Betrieb 30.06.2010", mit Los Working Class Heroes de la Casa, Schwarzes Cafe, Mittwoch, 30. Juni 2010

Schwarzes Cafe