Belgien hat Vorsitz inne, aber keine Regierung
EU-Präsidentschaft in einem zerrissenen Land
Die belgische EU-Ratspräsidentschaft setzt im zweiten Halbjahr 2010 vor allem auf Kontinuität, neue Akzente gibt es kaum. Schwerpunkte sind der Kampf gegen die Wirtschaftskrise und die weitere Umsetzung des Vertrags von Lissabon.
8. April 2017, 21:58
"Hermann van Rompuys Rolle sollte nicht unterschätzt werden."
Yanis Emmanuilidis, Politikexperte des European Policy Center
Eurokrise und neue Spielregeln
Selten zuvor ist eine minutiös vorbereitete Präsidentschaft in der Europäischen Union in so dramatischer Weise von der Aktualität überrollt worden, wie in den letzten sechs Monaten der Vorsitz Spaniens. Nicht die Arbeitsvorhaben der Madrider Regierung standen im Zentrum, sondern die Krise des Euro, die von den griechischen Finanzproblemen ihren Ausgang genommen hat.
Von einer unsichtbaren Präsidentschaft ist in der recht skeptischen europäischen Presse die Rede. Eine verpasste Chance, heißt es bei den konservativen politischen Gegnern im Europaparlament. Beim Krisenmanagement rund um Griechenland hatte auf jeden Fall nicht Spanien das Heft in der Hand, sondern Hermann van Rompuy. Erstmals war Madrid mit den neuen Spielregeln in der EU nach dem Inkrafttreten des Reformvertrages konfrontiert.
Unterstützung von Entscheidungsträgern
Mit Belgien hat am 1. Juli ein Routinier übernommen: Zwölf Mal war Belgien bereits Vorsitzland in der EU. Yves Leterme, der belgische Regierungschef, führt nur interimistisch die Geschäfte. Die Bildung einer neuen Regierung nach den letzten Parlamentswahlen mit den unerwarteten Erfolgen der flämischen Nationalisten kann noch Monate dauern. Aber das Selbstverständnis der Belgier als Unterstützungstruppe für die wirklichen Entscheidungsträger ist Konsens, betont der vielsprachige belgische Ministerpräsident Yves Leterme.
"Unserer Meinung nach ist es die Aufgabe der rotierenden Präsidentschaft, den Entscheidungsbildungsprozess auf europäischer Ebene zu fördern. Wir müssen dafür sorgen, dass das Zusammenspielt zwischen Europäischem Parlament, dem Rat und der Kommission funktioniert. Das ist unsere allerwichtigste Aufgabe", so Leterme.
"Außenpolitisch eine Stimme"
Vor allem in der Außenpolitik hat ein Vorsitzland in Zukunft wenig Spielraum, weil die Hohe Repräsentantin Catherine Ashton die wichtigste Rolle spielt. Belgiens Außenminister Steven Vanackere sieht kein Problem, im Hintergrund zu bleiben: "Für den Außenministerrat stimmt es, da wird Lady Ashton den Vorsitz führen. Die belgische Diplomatie wird alles tun, sie in ihrer Rolle zu stärken. Wenn die Europäische Union mit einer Stimme sprechen soll, dann muss das jemand mit einer permanenten Funktion tun."
"Wir hoffen, dass der neue Europäische Auswärtige Dienst spätestens im Dezember funktionieren wird, am Ende unserer Präsidentschaft - das wird eine große Stütze für die die Hohe Repräsentantin sein", so Vanackere. Er will vor allem die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, der Türkei und Island ein Stück weiter bringen.
Länder wechseln, EU bleibt
Ein Zufall ist es, dass auch der ständige Ratspräsident der EU, Herman van Rompuy, aus Belgien kommt. Dem erfahrenen Politiker werden nach wie vor die besten Kontakte in alle für die Präsidentschaft relevanten Stellen seines Heimatlandes nachgesagt.
Wenn die Koalitionsverhandlungen zwischen französischsprachigen und flämischen Parteien in Belgien erfolgreich sind, dann werden die handelnden Personen wechseln. Aber Erschütterung wird das wohl keine mehr bedeuten für die EU.
Nicht nur deshalb, weil Europapolitik unumstritten ist in Belgien, sondern auch weil die Institutionen der Union weniger anfällig sind auf politische Instabilität in dem Land, das sechs Monate lang den Vorsitz führt.