Beginn am "falschen Ende"

Wifo kritisiert Klimastrategie

Während Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Ziel für die Reduktion der Treibhausgase auf 30 Prozent bis zum Jahr 2020 angeheben, versucht Österreich das ursprüngliche 20-Prozent-Ziel zu erreichen. Selbst das wird nicht leicht sein, sagt das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), denn Österreich konzentriere sich zu wenig auf Effizienzsteigerung und Energiesparen.

Mittagsjournal, 15.07.2010

Anspruchsvoller wäre besser

Österreich sei in der Vergangenheit Vorreiter bei Umwelt- und Klimaschutz gewesen und habe diese Position in den letzten zehn Jahren verloren, stellt der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), Karl Aiginger fest. Die Ziele der EU – 20 Prozent weniger Treibhausgase und 20 Prozent mehr Energieeffizienz bis 2020 - seien mit den aktuellen Plänen der Bundesregierung erreichbar, sagt Aiginger. Er würde es sich aber wünschen, wenn Österreich den anspruchsvolleren Weg ginge.

Strategie statt "Themenhopping"

Anspruchsvoller wären Ziele, wie sie etwa Deutschland oder Frankeich anstreben, die die Treibhausgase sogar um 30 Prozent senken wollen. Grundsätzlich sei auch dieses Ziel erreichbar, meint Wifo-Chef Aiginger. Doch dazu müsse die Politik eine klare Linie gehen und kein "Themenhopping" betreiben und immer wieder andere "wichtigste Ziele" definieren. Vielmehr sollte eine "strategische Budgetkonsolidierung" angestrebt werden, wobei man zugleich einige Umwelt- oder Bildungsziele festlege.

"Beginn am falschen Ende"

In Österreich setze die Regierung derzeit noch zu wenig auf Energiesparen und Effizienzsteigerung und verlasse sich zu sehr auf den Ausbau der erneuerbaren Energie aus Wasser, Wind und Sonne, kritisiert Wifo-Klimaexperte Stefan Schleicher: Da beginne man "am falschen Ende", wenn man nach zusätzlichen Energiequellen suche. Man widme sich zu wenig den Energiedienstleistungen und den damit verbundenen Technologien. "Damit entgeht der Energiestrategie Wesentliches", so Schleicher.

"Zweites Wiederaufbauprogramm"

Ohne Energiesparen wird es nicht gehen, sagt Experte Schleicher und fordert unter anderem strengere Vorschriften bei Gebäuden: ein zweites "Wiederaufbauprogramm" mit Passivhäusern sollen den Energieverbrauch für Heizung und Kühlung der Gebäude senken. Auch bei den Elektro-Fahrzeugen sei Österreich nicht mehr auf den internationalen Standard und zahlreiche heimische Firmen, die Umwelttechnologie entwickeln, verkaufen ihre Produkte nur im Ausland.

Mehr MÖSt

Vom Ziel einer Wirtschaft, die wächst, ohne dazu immer mehr zusätzliche Energie zu verbrauchen, sei man in Österreich noch weit entfernt, zieht Wifo-Chef Karl Aiginger ernüchternd Bilanz, für jedes Prozent Wachstums bei der Wirtschaftsleistung verbrauchen wird 0,7 Prozent zusätzliche Energie. Aiginger fordert unter anderem eine Ökologisierung des Steuersystems, so soll die Mineralölsteuer (MÖSt) um 10 Cent je Liter angehoben werden. Die Einnahmen daraus will Aingigner aufteilen: "Zu einem Drittel zur Budgetkonsolidierung, zu einem Drittel für die Entlastung der Arbeit und zu einem Drittel für Umwelttechnologien".

Wachstum ohne Mehrverbrauch

Außerdem sollte trotz Budgetsanierung weiterhin genug Geld für Forschung und Entwicklung im Umweltbereich zur Verfügung stehen. Ziel sei es, das die Wirtschaftsleistung weiter wächst, ohne dass der Energieverbrauch zunimmt, betont Wifo-Chef Aiginger.

Gemeinsamer Zeitungskommentar

Drei der einflussreichsten Länder in der EU haben einen Vorstoß zur Verschärfung der Klimaschutzziele der Union gemacht: Nicht wie bisher geplant um 20 Prozent, sondern um 30 Prozent solle die EU die Emissionen an Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 reduzieren, und das unabhängig davon, ob auch andere Länder ähnliche Schritte setzen. Dafür sprechen sich die Umwelt- und Klimaschutzminister von Deutschland, Frankreich und Großbritannien in einem Kommentar in der heutigen Financial Times aus.

Mittagsjournal, 15.07.2010

Offenbar im Alleingang

Das Wort "einseitige Verschärfung" kommt in dem Artikel der drei Minister übrigens als solches nicht vor - da die Minister aber keine Vorbedingungen für den Schritt anführen, ist wohl genau das gemeint, ein Alleingang der Europäischen Union, und so interpretiert dies auch die Financial Times.

Verlierer im Wettbewerb

Das Hauptargument, das die drei Minister für die Verschärfung der Reduktionsziele beim Kohlendioxid-Ausstoß auf 30 Prozent anführen, ist übrigens kein umweltpolitisches, sondern ein wirtschaftliches: Die EU laufe Gefahr, den internationalen Wettlauf um die Vorreiterrolle bei grünen Technologien gegen China, Japan und die USA zu verlieren, wenn sie nicht selbst eine ambitionierte Klimapolitik verfolgt. Und die Kosten der Verschärfung der Klimaziele seien wegen der derzeitigen Wirtschaftskrise viel geringer als davor geschätzt, nämlich für die gesamte nur 11 Milliarden Euro pro Jahr mehr als die ursprünglich für das 20-Prozent-Reduktionsziel geschätzte Summe, so die Minister der großen EU-Länder.

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