Peter Stein: "Ein Stück über Asylrecht"

Salzburger Premiere von "Ödipus auf Kolonos"

"Ödipus auf Kolonos" heißt das Stück des über 90-jährigen Sophokles, das posthum um das Jahr 400 vor Christus in Athen uraufgeführt wurde. Bei den Salzburger Festspielen hatte es Montagabend Premiere. Der deutsche Regisseur Peter Stein hat inszeniert, Klaus Maria Brandauer spielt die Titelrolle.

Kultur aktuell, 27.07.2010

Rätselhaftes Spätwerk

Auf den Hügel von Kolonos führt Antigone den greisen, asylsuchenden und blinden Ödipus, der sich einst blendete, nachdem er gewahr wurde, dass er seinen Vater umgebracht und mit seiner Mutter Kinder gezeugt hatte. Diese Handlung schildert Sophokles bereits in seiner Tragödie "König Ödipus", zwei Jahrzehnte vor seinem Alterswerk, dem "Ödipus auf Kolonos" entstanden. Noch weitere Jahrzehnte zuvor hatte er schon das Schicksal der "Antigone" in eine berühmte Tragödie gefasst. Diese beiden früheren Stücke weisen weit mehr Drama, Handlung auf als das schwierige und rätselhafte Spätwerk.

Der Chor der Koloner will den asylsuchenden, umherirrenden, alten Ödipus zuerst verjagen, doch der König Athens Theseus gewährt ihm Schutz, auch vor den Verfolgungen aus seiner Heimat, vor Kreon und Ödipus' kriegerischem Sohn Polynykes.

Was das Drama vermittelt

Peter Stein, der seit über vierzig Jahren an antiken Texten arbeitet und jetzt auch wieder selbst das Original übersetzt hat, der mit seinen Aufführungen der "Orestie" des Aischylos von Berlin bis Epidauros und von Moskau bis Ostia antica Maßstäbe gesetzt hat, ist der große Kenner und Vermittler dessen, was uns das antike Drama mitteilen will: vom griechischen Denken in Gegensätzen, vom Verhältnis des Einzelnen zu der Gesellschaft in der Demokratie der Polis, von der tiefen Einsicht in die menschliche Existenz.

Zum "Ödipus auf Kolonos" sagt Stein: "Entscheidend ist aber, dass das Stück auch ganz präzise politische Implikationen hat. Es ist ein Stück über Asylrecht. Darüber hinaus gibt es das andere Thema, dass plötzlich am Ende des Lebens Leute sich um diesen ausgestoßenen, geächteten - diesen Outlaw - reißen. Die wollen ihn unbedingt haben - warum?"

"Ödipus auf Kolonos" ist aber auch ein Stück über den Tod. "Im Grunde genommen verschwindet er", sagt Stein. "Er wird aufgehoben durch irgendetwas, wahrscheinlich in das, was Goethe den 'Allverein' nennt, das heißt, in den gesamten Weltzusammenhang in einer Art und Weise."

Rückkehr der alten Meister

Mit "Ödipus auf Kolonos" kehrt Peter Stein, dem die Theaterwelt und die Theatergeschichte im deutschsprachigen Raum unendlich viel zu verdanken hat, zu den Salzburger Festspielen zurück, wo er einst Chef des Schauspiels war.

Es ist aber auch eine Rückkehr von Klaus Maria Brandauer nach Salzburg, wo er einst Triumphe als Schauspieler feierte, etwa als Orsino in Otto Schenks "Was Ihr Wollt"-Inszenierung oder als Jedermann. Brandauer ist ein Ödipus von antiker Wucht mit leisen, aber auch störrisch wütenden Tönen, eine faszinierende, erschütternde Figur zeichnet er. Stein und Brandauer wurde gestern vom Publikum gefeiert.

Peter Stein hat ja bereits mit seinen Inszenierungen von Schillers " Wallenstein " und mit Kleists "Zerbrochenem Krug" in den letzten Jahren Klaus Maria Brandauer dem Publikum wieder als den großen Schauspieler zurückgegeben, der er sein kann, der er ist.

Mit "Ödipus auf Kolonos" haben die beiden viel gewagt. Manch einem wird diese dreistündige Aufführung ohne Pause vielleicht zu altmodisch sein oder zu pathetisch, zu überladen mit Mythos und Rhythmus, der eine oder andere könnte sich überfordert fühlen, doch dass hier alte Meister am Werk waren und sind, wird wohl kaum jemand bestreiten können.