Opposition: "Ablenkungsmanöver"

Sarkozy geht gegen Roma vor

Auf Geheiß von Staatspräsident Sarkozy hat am Mittwoch in Paris eine heftig umstrittene Krisensitzung zum Thema Roma stattgefunden. Anlass waren Krawalle in einer zentralfranzösischen Kleinstadt vor zwei Wochen. Sie waren ausgebrochen, nachdem ein junger Roma bei einer Polizeikontrolle von Polizisten erschossen worden war.

Morgenjournal, 29.07.2010

Reaktion auf Verwüstung einer Polizeistation

Zwei Wochen ist es her, dass in Frankreich ein junger Roma bei einer Polizeikontrolle von Polizisten erschossen wurde. Anschließend war es in einer zentralfranzösischen Kleinstadt zu schweren Krawallen gekommen, 40 Mitglieder des "fahrenden Volkes" verwüsteten unter anderem ein Polizeikommissariat. Staatspräsident Sarkozy erklärte daraufhin der Kriminalität den Krieg und berief für Mittwoch im Elyseepalast eine heftig umstrittene Krisensitzung ein, um, wie es hieß "Probleme, die das Verhalten von manchen fahrenden Leuten und Roma verursacht", zu erörtern. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und die Opposition sahen darin die Brandmarkung einer Minderheit und den Versuch des Präsidenten, von der Bettencourt- und anderen Affären abzulenken.

Auflösungen und Ausweisungen

Schon die Zusammensetzung der Runde bei der Krisensitzung machte klar: Es geht um Repression – der Premier, der Innen-, der Immigrationsminister, sowie die Justizministerin und die Polizeispitzen – keine Vereinigung der Betroffenen, keine Menschenrechtsorganisation war geladen. Hinterher verkündete Innenminister Hortefeux: "Wir haben beschlossen, dass innerhalb von drei Monaten die Hälfte der illegalen Camps des fahrenden Volkes und der Roma aufgelöst werden, ungefähr 300, und dass die Roma, die sich eines Vergehens oder eines Betrugs schuldig machen, unmittelbar nach Rumänien oder Bulgarien ausgewiesen werden."

Überwiegend sesshaft

Ankündigungen, die kaum dazu angetan sind, die seit Tagen dauernde Kritik in Frankreich an der gestrigen Sitzung verstummen zu lassen. Denn jeder weiß: Die ausgewiesenen Roma – rund 10.000 leben in Frankreich - können als Europäer jederzeit wieder zurückkommen. Gleichzeitig umfasst das "fahrende Volk" Frankreichs, das zu zwei Drittel mehr oder weniger sesshaft ist und sich selbst als "Manouches" bezeichnet, rund 400.000 Menschen, die Franzosen sind und deren Vorfahren seit sechs Jahrhunderten im Land lebten.

"Rassische Diskriminierung"

Der Vizepräsident der französischen Menschenrechtsliga, Malik Salemkour: "Erstmals überhaupt in Frankreich werden jetzt die fahrenden Leute als Volksgruppe gestempelt. Frankreich hat sich in Europa immer dagegengestellt, weil man sagte, in Frankreich kennen wir keine ethnischen Minderheiten. Und nach dem Vorfall hat man die Dinge auch verallgemeinert. Die Taten von einzelnen müssen bestraft werden. Aber zu sagen, dass eine Gruppe ihrem Wesen nach kriminell ist, das ist ganz klar rassistische Diskriminierung."

Am Mittwoch hat sogar ein Zusammenschluss von Roma-Organisationen gedroht, die Pariser Regierung wegen Anstachelung zum Rassenhass zu verklagen. Selbst die evangelische und die katholische Kirche haben protestiert und den Menschenrechtskommissar des Europarates Frankreich aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, damit das fahrende Volk behandelt wird wie der Rest der französischen Bevölkerung.

Faktische Ungleichbehandlung

In der Tat müssen sich die fahrenden Leute z.B. alle drei Monate bei der Polizei melden, Gemeinden weigern sich, ihre Kinder einzuschulen. Gleichzeitig hat der französische Staat ein vor 20 Jahren verabschiedetes Gesetz bisher nicht mal zur Hälfte umgesetzt, wonach Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohner verpflichtet sind, dem fahrenden Volk ein Gelände für die Wohnwägen zur Verfügung zu stellen.

"Ablenkungsmanöver"

Die Opposition und zahlreiche Kommentatoren in Frankreich werteten die Sitzung im Elyseepalast als altbewährten Versuch von Präsident Sarkozy, mit der Sicherheitsthematik von anderen Problemen und Affären abzulenken und angesichts seines fortwährenden Popularitätstiefs erneut auf Stimmenfang bei der extremen Rechten zu gehen.