Psychologisches Spiel
Claires Geheimnis
Ein packendes Drama mit Starbesetzung versteckt sich hinter dem französischen Film "Claires Geheimnis". Sandrine Bonnaire trifft da in einem aufwühlenden psychologischen Duell auf Catherine Frot. Erstaunlicherweise hat der Film in Deutschland keinen Verleih gefunden. Umso erfreulicher, dass "Claires Geheimnis" in den österreichischen Kinos zu sehen ist.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 05.08.2010
Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Frau. Es sind ihre Blicke, ihre Gesten und ihre Reaktionen. Sie scheint sich nicht wohl zu fühlen in ihrer Haut und in der Welt. Mit ihrem Mann lebt sie in Scheidung und das Verhältnis zu ihrem Sohn ist angespannt. Als sie auf einem Kinderfest ein junges Mädchen entdeckt, scheint sie vollständig den Bezug zur Realität zu verlieren.
Langsam erfährt man Näheres über das Trauma der Frau. Vor sieben Jahren hatte sie unmittelbar nach der Geburt ihre Tochter bei einem Krankenhausbrand verloren, jetzt glaubt sie in dem fremden Mädchen ihre Tochter wieder zu erkennen.
"Die Figur der Elsa transportiert keine Empathie, weil sie durch ihre Art verstört", sagt Regisseur Safy Nebbou. "Sie wirkt durcheinander, neurotisch, sogar gefährlich und man fragt sich, wie weit sie gehen wird. Das macht auch den Thriller-Aspekt aus."
Der Zuschauer als Mitspieler
Mehr und mehr ist Elsa von ihrer Idee besessen. Zuerst verfolgt sie das junge Mädchen und dessen Familie, dann sucht sie sogar den direkten Kontakt. Bei den eigenen Eltern stößt sie dafür auf Unverständnis. Sie solle aufhören, sich selbst zu bestrafen und mit einem Phantom zu leben.
Den Großteil des Films erlebt der Zuseher aus der Perspektive der verstörten und verstörenden Elsa. Doch lässt Regisseur Safy Nebbou das Geschehen kippen und schwenkt um auf die Mutter des Mädchens: "Mein Wunsch war es, dem Zuschauer einen Platz als Mitspieler zu geben. Er wird auf eine Fährte gesetzt, die Fährte wechselt aber und er wird dadurch gezwungen, seine Position zu hinterfragen. Das ist ein Hitchcockscher Trick, der den spielerischen Aspekt des Films ausmacht."
Mutterinstinkte
Regisseur Safy Nebbou betreibt in seinem Film keine Psychoanalyse und legt seine Figuren nicht auf die Therapeutencouch. Das ist nicht nur ein intelligenter Schachzug, sondern auch wohltuend, bleiben dem Zuseher auf diese Weise doch überstrapazierte psychologische Deutungsmuster erspart.
Sein Ansatz war ein anderer. Ihm ging es um das körperliche und instinktive Verhältnis einer Mutter zu ihrem Kind. Deshalb hat er sich während des Entstehungsprozesses des Films Tierdokumentarfilme angesehen, und dort etwa genau darauf geschaut, wie eine Löwin ihre Jungen beobachtet. "Das hat mich fasziniert, dieser animalische Aspekt", so Safy Nebbou. "Das war mir wichtiger als in psychologische Interpretationen abzugleiten. Stattdessen wollte ich, dass instinktive Dinge wie etwa die Bedeutung von Gerüchen zum Tragen kommen."
Das Konzept ist aufgegangen, denn selten war in letzter Zeit Kino so intensiv erlebbar wie in "Claires Geheimnis".