Der Autobiografie dritter Teil

Grass' und Grimms Wörter

Der deutsche Literaturnobelpreisträger Günter Grass präsentiert in dieser Woche in Göttingen sein jüngstes Werk - den dritten und letzten Teil seiner Autobiografie: Nach den Bänden "Beim Häuten der Zwiebel" und "Die Box" setzt er seinen Rückblick mit "Grimms Wörter" fort - und er verknüpft darin seine eigene mit der Geschichte der Brüder Grimm.

Kultur aktuell, 31.08.2010

Oralverkehr mit Vokalen

Die beiden deutschen Philologen, die hierzulande vor allem als Märchensammler bekannt wurden, haben ihn geprägt, sagt Günter Grass und der Däumling lebt in der "Blechtrommel" fort - in der Figur des Oskar Matzerath. Mit den Grimmschen Märchen ist Günter Grass schließlich aufgewachsen.

Später dann: die Bewunderung für das ehrgeizige sprachwissenschaftliche Projekt von Jakob und Wilhelm Grimm: Das deutsche Wörterbuch: "Wer das in die Hand nimmt, liest sich fest, weil jedes Wort ganze Wortfelder erschließt, den ganzen Hintergrund, die Verwandlung. Die haben ja einen regelrechten Oralverkehr mit Vokalen getrieben", schwärmt der Autor.

Nicht nur davon erzählt Günter Grass. Er berichtet vom Alltag in den Studierstuben der beiden Philologen, von ihrer Hausfreundin Bettina von Arnim, den Spaziergängen im Berliner Tiergarten - von der sonderbaren Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Jakob und Wilhelm Grimm.

Wechsel zwischen den Ebenen

Und Grass verknüpft die Geschichte der beiden Brüder mit seiner eigenen: Er erzählt von seinen über 300 Wahlkampfreisen für die SPD, dem Engagement für die Einheit der deutschen Kulturnation, seinen Indien-Reisen, rekapituliert seine tagespolitischen Statements und zitiert immer wieder sich selbst. "Grimms Wörter", so der Autor, sollte sein autobiografisches Schreiben zum Abschluss bringen und die Stichwörter haben ihm Gelegenheit gegeben, seine gesellschaftliche und politische Tätigkeit in das Buch zu bringen.

"Günter Grass missbraucht die Gebrüder Grimm für eine gnadenlose Selbstfeier" meinte dazu die Tageszeitung "Die Welt" und "Eitelkeitseinbrüche" kritisierte auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung, würdigte allerdings das muntere Assoziieren, den entspannten Ton und den einfühlsamen Blick auf das Leben der Grimms.

Tatsächlich wechselt Grass leicht und elegant zwischen den Zeitebenen hin und her, um eben bei bestimmten Stichworten auf eigenes Biografisches zu kommen. Die Weigerung der Grimms etwa, 1837 ihren auf die Verfassung abgelegten Eid zu widerrufen - weshalb die beiden ihre Professorenämter verloren - , erinnert Grass an seinen eigenen Schwur anno 1944, der ihn zum Mitglied der Waffen-SS machte.

Müsste er heute auf die Verfassung einen Eid ablegen, so würde er verweigern, sagt Grass und begründet das mit strukturellen Ungerechtigkeiten, wie der Streichung des Asylrechts aus der Verfassung. Die Aufgabe der Intellektuellen sei es da, die Wunde offen zu halten.

Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung. Erschienen ist der Band im Steidl Verlag, zeitgleich mit einer Hörbuchausgabe, gelesen vom Autor selbst.

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Steidl Verlag - Grimms Wörter