Drittmächtigster Mann zwischen den Sesseln

Luschkow in Bedrängnis

Einer der wichtigsten russischen Politiker, der Moskauer Bürgermeister Luschkow, hat sich offenbar die Kritik von Präsident Medwedew zugezogen. In Moskau wird in den Medien schon über seine mögliche Absetzung spekuliert. Offenbar hat Luschkow aber in Wladimir Putin einen wichtigen Fürsprecher, der sich von Luschkow nicht trennen will.

Mittagsjournal, 13.09.2010

Zwischen allen Sesseln

Sonntagabend vor dem Moskauer Rathaus: Eine aufgebrachte Menge skandiert "Schande, Schande!" Der Protest richtet sich gegen Juri Luschkow, den Moskauer Langzeitbürgermeister und Ehemann von Russlands reichster Geschäftsfrau, der Euro-Milliardärin Jelena Baturina. Juri Luschkow muss die Demonstranten nicht fürchten. Sorgen aber sollte sich der wohl drittwichtigste Mann des Landes machen, weil er offenbar zwischen alle Sessel geraten ist: Sein Widerstand gegen den Baustopp einer umstrittenen Autobahntrasse, den Präsident Medwedew persönlich angeordnet hat, hat den Kreml verärgert, weil man dort an Widerstand gegen Entscheidungen des Präsidenten nicht gewöhnt ist.

Rückhalt bei Putin

Seit die Provinzgouverneure – und Luschkow hat den Status eines Gouverneurs – nicht mehr gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt werden, hängt Luschkow direkt vom Wohlwollen des Präsidenten ab. Medwedew kann ihn also jederzeit feuern. Allerdings hat Luschkow einen klaren Rückhalt bei Ministerpräsident Putin, der vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen, so war zu hören, keine Personalrochanden in Moskau sehen will.

Unfreundliche Berichte

Nun werden aber im staatlichen und halbstaatlichen russischen Fernsehen Beiträge gezeigt, die Bürgermeister Luschkow nicht allzu gut aussehen lassen. Seine Abwesenheit in der Hitzeperiode, die Geschäfte seiner Ehefrau, all das kam plötzlich aufs Tapet. Was im Prinzip auch nichts Neues ist, denn es gibt wohl nur sehr wenige Moskauer, denen die Tätigkeit des Bürgermeisters, die sehr wohl auch ihre guten Seiten hat, in den letzten zwanzig Jahren entgangen ist. Die Modernisierung der Stadt, die deutlich höheren Löhne, den Hauptstadtaufschlag bei den Renten, all das hat ihm trotz seiner undurchsichtigen Geschäftsgebarung die Sympathien der Moskauer gesichert. Das proletarische Käppi, leutseliges Auftreten, mediale Omnipräsenz, eine unbeholfene Langatmigkeit der Rede lassen ihn für viele sogar sympathisch erscheinen.

Mediale Aufregung

Da Putin und Medwedew einen möglichen Dissens prinzipiell nicht in die Öffentlichkeit tragen, wird die Zukunft von Luschkow wohl in einem Vieraugengespräch entschieden werden. Die Mitarbeiterstäbe im Kreml und im Weißen Haus dürften aber Witterung aufgenommen haben – und daher kommt auch Moskaus mediale Aufregung.

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