"Das ist kein Dokumentarfilm!"

Jud Süß - Film ohne Gewissen

Im Jahr 1940 drehte der deutsche Regisseur Veit Harlan mit "Jud Süß" einen der bekanntesten antisemitischen Propagandafilme des "Dritten Reichs", der heute noch als sogenannter Vorbehaltsfilm gilt, also nur mit Einschränkung und sachkundiger Einführung im Kino gezeigt werden darf. Der Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen" blickt hinter die Kulissen dieses Machwerks.

Kultur aktuell, 15.09.2010

Hauptdarsteller Ferdinand Marian

Mit ein Grund für den Erfolg war die Leistung des Hauptdarstellers, des österreichischen Schauspielers Ferdinand Marian, der in diesem historischen Stoff den Jud Süß verkörperte. Nun versucht der deutsche Regisseur Oskar Roehler mit seinem Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen" anhand der Person Ferdinand Marian hinter die Kulissen der Entstehung von Harlans Machwerk zu blicken.

Wie weit darf man Geschichte im Kino fiktionalisieren, also zu den bestehenden Fakten neue hinzu erfinden? Wo beginnt die Geschichtsfälschung, wo kann die fiktive Zuspitzung aber auch historisch schwer greifbare Szenarien transparent, also Fakten spürbar und nachvollziehbar machen? Der Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen" hat diese im Kino immer wieder geführte Debatte erneut angeheizt. Für seinen Regisseur Oskar Roehler ist eines klar: "Das ist ein Spielfilm und kein Dokumentarfilm!"

Dramatisierung der Ereignisse

Roehler konzentriert sich im ersten Teil seines Films auf den persönlichen Zwiespalt des Schauspielers Ferdinand Marian, die Hauptrolle im NS-Propagandafilm "Jud Süß" zu übernehmen. Einerseits winken Ruhm und Geld, andererseits zehrt auch das moralische Gewissen, denn die hetzerische Tendenz des Films ist Marian durchaus bewusst.

Doch schnell muss er in Roehlers Version der Geschichte erkennen, dass er kaum eine Wahl hat, denn Propagandaminister Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) hat seine Entscheidung schon getroffen. Oskar Roehler neigt nicht nur in diesem Fall zur Dramatisierung ohnehin dramatischer Ereignisse. Dies führt dazu, dass er etwa die Figur des Goebbels immer wieder zwischen Penetranz, Theatralik und unfreiwilliger Komik auftreten lässt.

Vom Star zum fallen gelassenen Alkoholiker

Auch die Fakten werden frisiert, obwohl man sich nachweislich auf historisch sensiblem Terrain befindet. So wird Marians Frau ein jüdischer Familienhintergrund angedichtet, zudem macht Roehler aus einem gefeierten Schauspieler innerhalb von wenigen Minuten im Film einen von den Nazis gnadenlos fallengelassenen Alkoholiker, und das obwohl der Schauspieler während der Nazi-Zeit noch fast ein Dutzend Filme drehte. Und nicht zuletzt wird Marians Tod eindeutig als Selbstmord dargestellt, obwohl die Umstände eines Autounfalls 1946 ungeklärt blieben.

All das drängt Marian in eine ungerechtfertigte Opferrolle. Dieser Eindruck hat bei der heurigen Berlinale zu heftiger Kritik geführt. Marian-Darsteller Tobias Moretti: "Das ist nun einmal kein Film mit einer einfachen psychologischen Deutung, die verdeutlichen soll, wie es in Wirklichkeit war. Und das stößt bei manchen auf Verwunderung, Irritation und Unbehagen."

"Entlastungsfiktion"

Dabei wäre diese Biografie ohnehin spannend genug gewesen, in jedem Fall ausreichend, um das Künstlerdilemma zwischen moralischem Zwang und politischer Propaganda zu einer aussagekräftigen Gesellschaftsparabel zu verdichten.

Eigentlich schade, denn gelungene Ansätze dazu sind bei Roehler durchaus erkennbar. So aber muss sich der Regisseur mit einer unliebsamen Debatte auseinandersetzen, in der "Der Spiegel" die "moralische Weißwaschung einer Figur" kritisierte, die Berliner "taz" von einer "Entlastungsfiktion" sprach und der Berliner "Tagesspiegel" gar "ein Stück (Film-)Geschichtsfälschung" konstatierte.