Ariel Magnus stellt sein aktuelles Buch vor
Das etwas andere Leben in Buenos Aires
Ariel Magnus ist einer der jungen argentinischen Schriftsteller, die dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse seine Arbeit vorstellen werden. "Ein Chinese auf dem Fahrrad" ist der Titel seines Buches, das nun auch ins Deutsche übersetzt wurde. Ein Buch, das dem Leser Einblicke in das etwas andere Leben in Buenos Aires gewährt, nämlich das der Chinesen.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 05.10.2010
"Seitdem ich sechs, sieben, acht Jahre alt bin, habe ich immer geschrieben", sagt Magnus. "Ich habe mal eine Schreibmaschine als Geschenk bekommen und ich habe nicht nur geschrieben, sondern auch gezeichnet und meine eigenen Bücher selbst gemacht. Das war sehr lustig für mich, die Bücher zu basteln."
Seit nun bald drei Jahrzehnten ist Ariel Magnus ein leidenschaftlicher Schriftsteller. Der 35-jährige Argentinier, Nachfahre deutscher Einwanderer, kann sich noch an seinen ersten Roman erinnern: "Das erste, an das ich mich erinnere, ist, mit zehn Jahren einen Roman geschrieben zu haben. Aber es waren nur ein paar Seiten, vielleicht zehn, 15 Seiten, aber für mich war es ein Roman, weil ich mich mehrere Tage, vielleicht Wochen lang, in diese Geschichte reingearbeitet habe. Danach wollte ich einen Film daraus machen. Das sind meine ersten Erinnerungen und ich habe die noch irgendwo, irgendwo sind diese kleinen Bücher."
Nach dem Schreiben ist Schluss
Das Schreiben, die Bücher, Geschichten erzählen - all dies wurde im Laufe der Zeit eine Notwendigkeit für Ariel Magnus, beinahe eine Sucht. Mit 19 Jahren hatten seine Werke nicht mehr zehn sondern 100 Seiten. Doch sie verschwanden in seiner Schubladen, wo sie zum Teil noch heute liegen. Er schrieb des Schreibens wegen.
"Ich sah nicht, warum man veröffentlichen sollte", erinnert sich Magnus. "Ich schrieb, weil ich wollte. Ich schrieb jeden Tag, jeden Tag. Ich machte meine Bücher, die waren zu Ende, dann schrieb ich noch ein Buch. Ich wollte dieses Buch machen, aber ich wusste nicht, warum ich veröffentlichen sollte, was sollte jemand anderes zu meinem Buch sagen? Es war mein Buch, ich schreibe es und es ist Schluss.
Entdeckung der Bibliotheken
Seine Faszination für Bücher kannte keine Grenzen. Und Bibliotheken waren für ihn wie ein Schlaraffenland, das er jedoch erst in Deutschland entdeckte: "In Deutschland selbst, wo ich zum ersten Mal die Bibliotheken entdeckt habe und, dass man tatsächlich mit einer Erzählung von Borges in die Bibliothek gehen könnte und all' die Bücher, die Borges dort erwähnt, bestellen und nach Hause bringen konnte", erinnert sich Magnus. "Das war undenkbar in Argentinien. Hier gibt es kaum Bibliotheken. Es sind sehr schlechte Bibliotheken, sogar in Buenos Aires. Und da hatte ich immer 30, 40 Bücher, in Heidelberg war das, zu Hause. Und ich habe die durchgelesen, es war eine Orgie von Büchern. Daraus wollte ich ein Buch machen, wo es nur um Fußnoten ging, aber nie ein Haupttext. Und ich habe, ich weiß nicht, tausend Fußnoten gemacht, aber das Buch ging nirgendwo und ich habe gemerkt, ich kann nicht wie Borges schreiben, also ich hatte mit ihm einen Wettbewerb und verloren."
Vor fünf Jahren veröffentlichte derselbe Verlag, bei dem auch der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges seine Werke publizierte, das erste Buch von Ariel Magnus. Es ist die Geschichte einer Freundin des Schriftstellers. Aus dem Alltag schöpft Ariel Magnus die meisten Ideen für seine Bücher. Es gibt kein Thema, worüber er kein Buch schreiben könnte:
"Hier in Buenos Aires ist es voll von... Cartoneros nennen wir sie, also Leute, die eigentlich nur Pappe aus dem Müll nehmen, und ich fühle mich wie ein Cartonero der Literatur. Also von jedem Ding kann ich ein Buch nehmen. Von den Spams mit Penis-Verlängerungs-Angeboten habe ich auch ein Buch geschrieben, also es ist nicht das einzige Thema, aber jedes Geschehen in der Wirklichkeit kann ich zu einem Buch machen."
Alles kann ein Thema sein
Wer sich im sozialen Umfeld von Ariel Magnus aufhält, dem kann es passieren, dass er zum Protagonisten des nächsten Werkes wird. "Vor ein paar Jahren, hatte ich einen Konflikt mit meiner Nachbarin von oben", erzählt Magnus. "Die hat die Schuhe gewechselt und die machten ziemlich viel Krach. Ich arbeite zu Hause. Sie macht nichts, sie rennt nur durch das Haus und da habe ich sie angerufen und gemeint, darf ich ihnen ein paar neue Schuhe kaufen? Nein, das geht nicht, das ist eine Beleidigung für mich. Ich war so wütend, dass ich an sie einen Brief geschrieben habe, im ironischen Ton, einen Ton, den sie nie verstehen würde. Und daraus kam noch ein Brief und noch ein Brief und ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben. Es ist ein Buch über Geräusche, über andere Dinge, nicht nur über meine Nachbarin von oben. Es heißt 'Briefe an meine Nachbarin von oben', es wurde letztes Jahr veröffentlicht, nur um zu zeigen, dass ich ein Thema aus irgendetwas nehmen kann."
Auch für sein Buch "Ein Chinese auf dem Fahrrad", das im Mai dieses Jahres erstmals auf Deutsch erschienen ist, hat sich Ariel Magnus durch eine wahre Begebenheit inspirieren lassen: "Das Thema des Buches über den Chinesen kam aus der Zeitung. Es ist ein Chinese, der beschuldigt wurde, elf Möbelhäuser in Brand gesteckt zu haben, 2004, glaube ich. Und ich wollte eigentlich über die Chinesen in Buenos Aires schreiben, journalistisch eine Reportage machen und das wurde abgelehnt von den Verlagen. Und ich hatte schon den Chinesen getroffen, seinen Anwalt und ich war bei der Verhandlung, und da habe ich als Rache den Roman geschrieben, dort wo die Wirklichkeit geendet hat. Denn ich war bei dem Prozess und als ich rausging und beim Pinkeln war, da habe ich mir gedacht, was passiert, wenn der Typ jetzt kommt und mich entführt - und dort beginnt tatsächlich das Buch."
Teil des alltäglichen Lebens
Ein junger argentinischer Computer-Freak wird von jenem Chinesen entführt, der wegen Brandstiftung angezeigt wurde. Dieser will durch die Entführung seine Unschuld erpressen. Seine Geisel führt er ins Chinatown von Buenos Aires, dort treffen zwei Welten, zwei Kulturen aufeinander. Der Roman von Ariel Magnus nimmt seinen Lauf.
Für den Autor sind die eingewanderten Chinesen in Buenos Aires Teil des alltäglichen Lebens geworden: "Die Chinesen haben fast alle Mini-Märkte aufgemacht. Und zu diesen Minimärkten gehen alle Argentinier mindestens einmal die Woche. Wir sagen nicht, ich gehe zum Supermarkt, wir sagen, ich gehe zum Chinesen und nicht zum Essen, sondern zum Essen kaufen, in diesem Sinne liegen sie im Mittelpunkt unseres Alltags, irgendeinen Einfluss muss das haben."
In zwei Kulturen zu Hause
Zwischen mehreren Kulturen zu leben, ist für Ariel Magnus selbstverständlich. Ist er doch selber in zwei Kulturen zu Hause, der argentinischen und der deutschen. So studierte er in Heidelberg und Berlin Romanistik und Philosophie und schreibt heute immer mal wieder sowohl für südamerikanische als auch für deutsche Zeitungen. Wenn er auf Spanisch seine Bücher schreibt, bedient sich der argentinischen Schriftsteller ungewöhnlicher Hilfsmittel:
"Während ich auf Spanisch schreibe, benutze ich immer das deutsch-spanische Wörterbuch. Denn es gibt immer Redewendungen oder Wörter, die ich auf Deutsch denke und die ich ins Spanische übersetzen will, nicht weil ich nicht weiß, wie man es auf Spanisch sagt, aber es sind Nuancen, die man auf Spanisch nicht hinkriegt, und deswegen suche ich durch das Deutsche das Spanische zu verändern.
Sollte Ariel Magnus eines Tages wieder gemeinsam mit seiner Frau nach Deutschland ziehen, so werde er erstmals auf Deutsch einen Kriminalroman schreiben - womöglich wird er dann auch das deutsch-spanische Wörterbuch zu Hand nehmen.