Verhängnisvolle Liebe in der Provence

Romanverfilmung "Mademoiselle Chambon"

Zuletzt lieferte das französische Kino mit schrillen Komödien seine größten Kassenerfolge ab. Dass es auch die leisen Töne nicht verlernt hat, das beweist jetzt ein Liebesdrama, das diese Woche in den heimischen Kinos anläuft. "Mademoiselle Chambon" zeigt die französische Provinz von ihrer schönsten und die Liebe von ihrer verhängnisvollsten Seite.

Kultur aktuell, 14.10.2010

Jean ist Maurer, glücklich verheiratet und ein fürsorglicher Vater. Manchmal fährt er aus der Stadt hinaus und genießt von einem Hügel aus den freien Blick über die Berge und Felder der Provence, finanzielle Sorgen plagen ihn keine. Da begegnet er eines Tages Mademoiselle Chambon, der Lehrerin seines Sohnes.

Aus Jeans Perspektive

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat in seinem Hauptwerk "Die feinen Unterschiede" beschrieben, welche Strategien die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten anwenden, um sich voneinander abzugrenzen. Regisseur Stephane Brizé lässt seine beiden Protagonisten den umgekehrten Weg gehen. Sie ignorieren die Klassenunterschiede und lassen sich von der Welt des jeweils anderen faszinieren.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Éric Holder. In seinem Film hat Brizé jedoch einige bedeutende Änderungen vorgenommen: "Mit meiner Koautorin Florence Vignon ist mir schnell bewusst geworden, dass wir den Roman nicht einfach adaptieren konnten. Wir mussten eine ganz neue Struktur finden, vieles weglassen und vieles andere neu dazu erfinden. Der wichtigste Unterschied ist wohl, dass der Roman aus der Sicht von Mademoiselle Chambon erzählt wird, der Film aber aus der Perspektive des Maurers Jean erlebt wird."

Kein Wort zu viel

Die Annäherung zwischen den beiden ungleichen Verliebten ist ungeheuer präzise inszeniert und damit hochdramatisch in ihrer Wirkung. Da gibt es kein Wort zu viel, und es stimmen jeder Blick und jede noch so kleine Geste. Obwohl Brizé den Roman schon lange kannte, hat er sich mit der Leinwandadaption Zeit gelassen: "Ich war als Regisseur noch nicht so weit, gewisse Risiken einzugehen, damals vor zehn Jahren, als ich den Roman zum ersten Mal gelesen hatte. Wenn ich von Risiken spreche, dann meine ich damit den Mut zu Pausen und zur Stille."

Das pikante Detail am Rande: Brizés Hauptdarsteller Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon waren tatsächlich liiert, sind mittlerweile aber wieder geschieden. Der Dreh bedeutete für beide eine Überwindung, erzählt Brizé, das habe dem Film aber sehr gut getan: "Ihre gemeinsame Geschichte hat nicht zu einer Intimität geführt, ganz im Gegenteil: Sie hatten große Angst, einander näher zu kommen, und diese Angst entspricht sehr genau der Angst ihrer Figuren, und das fand ich sehr bewegend."

Keine plattgewalzten Gefühle

Bewegend ist "Mademoiselle Chambon", keine Frage, Stephane Brizé vollbringt aber das Kunststück, gleichzeitig völlig unpathetisch zu bleiben. Da werden keine Tränendrüsen gedrückt und keine Gefühle platt ausgewalzt. Und wahrscheinlich spürt man gerade deshalb, auch ohne Maurer oder Lehrerin zu sein, jede Regung der beiden am eigenen Leib.

Service

Rezo Film - Mademoiselle Chambon