Mit Komödien zum Erfolg

100 Jahre Wiener Kammerspiele

Die Wiener Kammerspiele feiern ihr 100-jähriges Bestehen. Am 14. Oktober 1910 wurde das Theater in der Rotenturmstraße in der Wiener Innenstadt unter dem Namen Residenzbühne eröffnet. Anlass zum Feiern.

Im Amathea Verlag erscheint ein Buch über das Haus mit dem Titel "Wenn's Euch nur gefällt", am 16. Oktober 2010 findet in den Kammerspielen ein Gala-Abend statt, wo man auf 100 Jahre Theater, Musical und Revue zurückblickt, und bei Hoanzl ist nun eine elfteilige DVD-Box herausgekommen, die ein Wiedersehen mit legendären Lach-Schlagern und Dauer-Hits wie "Pension Schöller", "Sonny Boys" und "Othello darf nicht platzen" enthält.

Kulturjournal, 14.10.2010

"Morgengabe" zur Josefstadt

Die kleine Schwester der Josefstadt ist in die Jahre gekommen. Und trotzdem sie seit Jahrzehnten schon mit ihrem zu engen Kostüm kämpft, trotzdem sie an vielen Stellen arg ramponiert wirkt und eine Schönheitsoperation notwendig hätte, trotzdem lockt die alte Dame allabendlich 500 Menschen an - kaum ein Theater in Wien ist so gut besucht und so oft ausverkauft wie die Kammerspiele.

Dieses unscheinbar-versteckte Kellertheater in der Rotenturmstraße, das alljährlich zur Verschönerung der Gesamtbilanz der Josefstadt beiträgt, ist ein Theater, das jenseits aller Kritik funktioniert, ein Theater, in dem die Stars noch Publikumslieblinge heißen und bei dem die Zuschauer noch vor dem Bühnentürl auf ein Autogramm warten.

Trotzdem war der Ruf der kleinen Schwester als billiges leichtes Mädchen neben der großen alten Dame Josefstadt nicht immer der beste und Elfriede Ott erinnert sich: "Es soll sogar Schauspieler gegeben haben, die sich vertraglich absichern ließen, nicht in den Kammerspielen auftreten zu müssen."

Die Kammerspiele seien oft als Abstellgleis der Josefstadt gesehen worden, meint auch Direktor Herbert Föttinger. "Als Josefstadtdirektor bekommt man die Kammerspiele als Morgengabe dazu und weiß oft nicht, was man anfangen soll damit."

Garant für Abwechslung

Der vielzitierte und geschmähte Boulevard hat in den Kammerspielen erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Einzug gehalten. Denn die Jahre davor waren die Kammerspiele Garant für Abwechslung. Von 1910 an, als das Theater als sogenannte Residenzbühne im Keller eines neuen Geschäftshauses eröffnet wurde, bis zum Zweiten Weltkrieg hat man hier unter oft wechselnden Direktoren alles gespielt - Grillparzer und Wildgans, Strindberg und Ibsen, amerikanische Revuen und Jazziges, Schwank und Farcen.

Heimische Lieblinge wie Hermann Leopoldi, Karl Farkas und Fritz Grünbaum trafen hier auf internationale Stars wie Heinz Rühmann, die junge Marlene Dietrich oder Filmregisseur Otto Preminger. Anfang der 1920er Jahre erregte die österreichische Erstaufführung von Schnitzlers "Reigen" in den Kammerspielen einen handfesten Skandal.

30 Jahre Häussermann und Stoss

Mit dem Einmarsch deutscher Truppen müssen jüdische Darsteller, Direktoren und Techniker das Haus verlassen und auch im Publikum dürfen keine Juden mehr sitzen. Fritz Grünbaum wird in Dachau ermordet, Direktor Rudolf Beer begeht nach brutalen Verhören durch die SA Selbstmord. 1944 lässt Goebbels das Theater sperren.

1949 beginnt mit der Angliederung der Kammerspiele an die Josefstadt die Ära Häussermann und Stoss, die das Theater 30 Jahre lang abwechselnd oder gemeinsam führen und ihr Image als Boulevardbühne prägen.

Verwechslungs- und Seitensprungkomödien

Während viele Theater in den 1960er Jahren geschlossen oder zu Kinos umfunktioniert werden, stehen die Kammerspiele mit ihrem regen Publikumszustrom nicht zur Disposition. Die enge Zusammenarbeit mit dem ORF beschert dem Sender Hauptabendprogramme, und den Kammerspiel-Darstellern einen großen Bekanntheitsgrad. Verwechslungs- und Seitensprungkomödien, "Boeing Boeing" "Charleys Tante" oder "Pension Schöller" treffen den Publikumsgeschmack.

Max und Alfred Böhm, Elfriede Ott, Ernst Waldbrunn, Fritz Muliar, Erni Mangold, Ossy Kolmann und natürlich Helmut Lohner und Otto Schenk gehören und gehörten zu den absoluten Publikumslieblingen in den Kammerspielen. Otto Schenk sorgte in dem Stück "Othello darf nicht platzen" übrigens für den größten Erfolg an den Kammerspielen. 19 Jahre lang stand das Stück auf dem Spielplan, über 470 Vorstellungen waren ausverkauft.

Aufpeppen erwünscht

Die Liebenden und die Geliebten und auch die typischen Kammerspielstücke sind in die Jahre gekommen, das Theater hätte sich vermutlich bald selbst überlebt. Wenn nicht Direktor Föttinger noch rasch Handlungsbedarf erkannt hätte, weil er sich, wie er sagt, in dieses Haus verliebt habe.

Denn mit "wellmade plays" unserer Zeit, mit Musik, Tanz und Stücken wie "Gut gegen Nordwind", "Cabaret", "Sugar - Manche mögen's heiß" oder "Ladies night" will Föttinger die Kammerspiele in das 21. Jahrhundert führen und zu einer modernen Stadtbühne machen. Auslastungszahlen von fast 93 Prozent im Vorjahr zeigen, dass ihm der Spagat scheinbar gelingt und er junge wie ältere Menschen gleichermaßen anlocken kann.

Um für ihre neue jugendliche Rolle gerüstet zu sein, wäre eine Schönheitsoperation dringend notwendig. Garderoben und der Hinterbühnenbereich, Zuschauerraum und Eingangsbereich sollten modernisiert, die Bühne vergrößert werden. Das ist zumindest der Wunsch von Herbert Föttinger. Ob die neue Stadt-Politik, wie immer sie aussehen wird, bereit ist, für dieses Geburtstagsgeschenk zusammenzulegen, das soll spätestens im kommenden Jahr feststehen.

Service

Dokumentation von Herbert Eisenschenk, "Hundert Jahre Kammerspiele - alles ist möglich", Sonntag, 17. Oktober 2010, 9:35 Uhr, ORF 2

Theater in der Josefstadt