Keine Absolute unter 50 Prozent

Wien: Opposition will Wahlrechtsänderung

Weil die Wiener SPÖ am vergangenen Sonntag ihre absolute Mehrheit verloren hat, bekommt eine Aktion der Oppositionsparteien ungeahnte Aktualität: Im Frühjahr hatten FPÖ, ÖVP und Grüne einen Notariatsakt unterschrieben, mit dem sie sich verpflichten, gemeinsam das Wiener Wahlrecht zu reformieren. Nun wollen sie damit ernst machen.

Mittagsjournal, 15.10.2010

Mehrheitsförderndes Wahlrecht

Das Wiener Wahlrecht ist - wie andere Länderwahlrechte auch - mehrheitsförderend, was dazu führt, dass man auch mit weniger als 50 Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit bekommen kann. Davon hat die SPÖ in der Vergangenheit zweimal profitiert, einmal gab es die "Absolute" sogar mit weniger als 47 Stimmenprozent. Jetzt ist die Absolute dahin - und die Oppositionsparteien bekräftigen, dass sie am Plan unbedingt festhalten wollen.

Das war schon eine merkwürdige Veranstaltung im vorigen Mai, als die drei Wiener Oppositionschefinnen und -chefs - getrennt voneinander, weil so weit geht die Freundschaft nicht - einen Notariatsakt unterschrieben. Alle gegen die SPÖ - lautet das inoffizielle Motto. Nach dem Verlust der SPÖ-Absoluten hat die Opposition nun die Chance, Nägel mit Köpfen machen - und das will sie auch. Das festzuhalten sei auch der Zweck des Notariatsakts gewesen, sagt die Grüne Wiener Parteichefin Maria Vassilakou.

Keine Absolute mit weniger als 50 Prozent

Sowohl Vassilakou als auch Christine Marek, ÖVP-Wien-Chefin beteuern, das neue Wahlrecht werde nicht einer Koalition mit der SPÖ geopfert. Ohne wesentliche Voraussetzungen, zu denen das neue Wahlrecht gehöre, werde es keine Zusammenarbeit geben. "Das haben wir auch innerparteilich so vereinbart", so Marek. Sie wolle verhindern, dass eine Partei mit deutlich weniger als 50 Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit erreicht.

Änderung in erster Sitzung?

"Jede Stimme muss gleich viel wert", dieses Prinzip verfolgen Grün, Blau und Schwarz. Das neue Wahlrecht sollte sich demnach an Nationalratswahlordnung orientieren, die tatsächlich von allen Wahlordnungen die geringsten Verzerrungen aufweist. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache will jetzt Dampf machen und die erste Sitzung nutzen, um eine "demokratische Wahlrechtsänderung vorzunehmen".

SPÖ hätte zwei Mandate weniger

Der Grazer Verfassungsprofessor Klaus Poier hat nachgerechnet und stellt fest: Hätte man bei der Wiener Gemeinderatswahl die Prinzipien des Nationalratswahlrecht angewendet, so hätte die SPÖ im Gemeinderat um zwei Mandate weniger. Mehrheitsfördernde Wahlrechte gebe es auch in anderen Bundesländern, so stark ausgeprägt wie in Wien sei das aber nirgends.

Nationalratswahl als Orientierung

Poier ist nicht grundsätzlich gegen ein mehrheitsförderndes Wahlrecht, allerdings sei das nur dann sinnvoll, wenn auch die Minderheit eine realistische Chance habe, jemals eine Mehrheit zu werden. In Wien sei aber nur eine Partei in dieser Situation, und daher könne man schon die Frage der Gerechtigkeit stellen und ob das nicht eine Bevorzugung einer einzelnen Partei sei. Allerdings liege die Wiener Regelung in jener Bandbreite, die der Verfassungsgerichtshof noch als zulässig ansehe. Dennoch empfiehlt der Experte, sich in Zukunft in Wien an der Nationalratswahlordnung zu orientieren.

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  • Wien-Wahl 2010