Regierung verordnet Sparkurs

"Schuldenzahltag" in Großbritannien

Die britische Regierung möchte innerhalb von fünf Jahren 95 Milliarden Euro Defizit abbauen - das ist derzeit das höchste Defizit aller EU-Länder. Dazu wird ein beinharter Sparkurs verordnet. Alle Bevölkerungsschichten sind betroffen. Die Gewerkschaften und die Labour-Opposition protestieren.

Mittagsjournal, 20.10.2010

Gedämpfte Stimmung in London

Der spätherbstliche Sonnenschein kann die Stimmung hier in der Metropole an der Themse nicht heben, Bauarbeiter stehen in der Mittagspause Schlange vor dem Fish und Chips Geschäft, ihr Schatzkanzler bereitet das Land zur gleichen Zeit auf einen radikalen Sparkurs vor. Wer wird am stärksten betroffen sein? Natürlich wir, die Arbeiter, sagen sie. Es wird wesentlich schwerer werden, die Kinder durchzubringen.

Sie fragen sich, warum die Regierung so lange nichts gegen die Staatsschulden unternommen hat. Die Politiker sind doch schlaue Menschen, sie hätten das schon früher merken müssen.

Wer kann, muss arbeiten

Die Briten sind traditionell keine begeisterten Sparer, das lockere Leben auf Pump hat jahrzehntelang durch die boomende Wirtschaft bestens funktioniert. Mit der Krise kam der Absturz.

Ein Viertel der Bevölkerung hat am Ende des Monats kein Geld mehr übrig. Vor allem Arbeitslose sehen mit Sorge der Sozialhilfe Reform entgegen. Wer arbeiten kann muss in Zukunft jede Stelle annehmen, sonst gibt es gar kein Geld mehr vom Staat.

Wir werden alle betroffen sein sagte ein Mann aus Wales, die Arbeitslosigkeit ist in dieser Region besonders hoch, es ist schwer einen Job zu bekommen. Aber die meisten sehen ein, dass gespart werden muss. Langfristig ist das besser, meint eine Studentin. Sie muss sich auf höhere Studiengebühren gefasst machen.

Keine Familienbeihilfe für Gutverdiener

Aber auch das komfortable Leben der Mittelklasse wird sich verändern. Familien mit mehr als 50.000 Euro Einkommen jährlich verlieren die Kinderbeihilfe. Das ist unfair, meint eine Mutter: "Es gibt Familien mit vielen Kindern, die dem Staat auf der Tasche liegen und wer bewusst nur ein Kind hat, weil das Leben so teuer ist, wird bestraft."

Ökonomen kritisieren

Eine Reihe einflussreicher Unternehmenschefs gratuliert der Regierung zum strikten Sparkurs: nur so könne Großbritannien seine Position stärken. Aber unabhängige Wirtschaftsexperten wie Stewart Wallis vom Think Tank New Economic Forum zweifelt an der Art der Durchführung.

Die Regierung kürze zu viel auf einmal, kritisiert Wallis: "Sie sollte langsamer kürzen. Es besteht die Gefahr, wieder in die Rezession zu rutschen, die Arbeitslosigkeit dürfte um eine Million steigen, das Verhältnis von Steuererhöhungen zu den ausgabenseitigen Einsparungen ist falsch. Man könnte durch zusätzliche Steuern wesentlich mehr bewirken, ohne die Nachfrage zu schwächen.“

Gewerkschafter protestieren

Vor dem Parlament in Westminster versammeln sich hunderte Gewerkschafter. Eine halbe Million Bedienstete im öffentlichen Bereich dürften in den nächsten Jahren ihren Job verlieren. Sie werfen der britischen Regierung vor, nur aus ideologischen Gründen zu kürzen, um ihren Traum vom kleinen Staat zu erfüllen.

Gewerkschafter Davis Shepherd sieht eine Rückkehr zu viktorianischen Zeiten, in denen nur die Reichen alles haben und die Armen unter gehen.

Das ist erst der Anfang des Protests, sagt Krankenschwester Carol Davis: "Wir betreiben Lobbying unter den Abgeordneten, die Öffentlichkeit ist auf unserer Seite, die Gewerkschaften sind vereint im Kampf."
Die britische Regierung bleibt vorerst hart. Ab heute werden die Schulden zurückbezahlt. Die Bevölkerung zahlt einen hohen Preis.