Apichatpong Weerasethakul im Interview

Uncle Boonmees Geisterwelt

"Uncle Boonmee who can recall his past lives", so der Titel des Siegerfilms von Cannes, folgt den letzten Tagen eines alten Mannes. Der erinnert sich an seine vergangenen Existenzen, es erscheinen ihm aber auch die Geister seiner verstorbenen Frau und seines verschwundenen Sohnes.

So selbstverständlich befinden sie sich im Raum, dass die Grenzen zwischen Mensch und Geist verschwimmen. Geister sorgen hier – ganz ungewohnt - nicht für Spuk und Nervenkitzel, sondern sind Verwalter von Erinnerungen. Es ist eine dementsprechend geheimnisvolle Atmosphäre, die Weerasethakuls Film durchzieht. Der Streifen kommt am 4. November 2010 in die österreichischen Kinos.

Wolfgang Popp: Apichatpong Weerasethakul, in Ihren Filmen kommen häufig Geister vor. Die scheinen sehr viel mit dem traditionellen thailändischen Volksglauben zu tun zu haben.
Apichatpong Weerasethakul: Der Film, 'Onkel Boonmee', beschäftigt sich damit, wie wir in Thailand mit diesem Glauben an Geister leben. Der hat auch Einfluss auf die Gesellschaftspolitik, denn oft tun wir Dinge, ohne genau zu wissen, warum. Die Gründe für unser Handeln stehen aber häufig in direktem Zusammenhang mit diesem Reich des Unsichtbaren.

Die beiden Geister, die Onkel Boonmee erscheinen, sind sehr unterschiedlich in ihrer Darstellung. Der weibliche Geist mit seiner Transparenz scheint ein Digitaleffekt zu sein, der männliche Geist wiederum ist, wenn man so will, ganz analog gestaltet, er steckt nämlich in einem Affenkostüm. Warum haben Sie sich für diese unterschiedlichen Arten der Darstellung entschieden?
Tatsächlich sind beide Arten der Darstellung analog. Um die Frau transparent erscheinen zu lassen, haben wir einen Trick aus alten Kinotagen angewandt, bei dem Spiegel verwendet werden. Und der Affengeist ist natürlich auch eine Reverenz an das frühere Kino, als man die Schauspieler einfach in billige Kostüme gesteckt hat. Genau so haben die Filme ausgesehen, mit denen ich aufgewachsen bin. Jetzt wird so etwas digital gemacht, weil das auch billiger ist. Dadurch stirbt die alte Technik genau wie auch Onkel Boonmee stirbt.

Es gibt im Film verschiedene Erzählebenen. Man springt dabei in andere Zeiten und an andere Schauplätze und muss sich jedes Mal ganz neu orientieren. Was war das Konzept dahinter?
Für mich ist der Film eine Zeitmaschine, gleichzeitig soll er aber auch die Arbeitsweise des Bewusstseins abbilden. Das Publikum soll das Gefühl haben, einer Erinnerung beizuwohnen. Und deshalb habe ich den Film so gestaltet, wie unser Gehirn arbeitet. Dazu gehört eben eine große Zufälligkeit, weil der Geist oft zwischen scheinbar unzusammenhängenden Erinnerungsfragmenten hin und her springt. Man hat in einer Stunde doch oft Millionen von Gedanken.

Es geht in den verschiedenen Erzählsträngen nicht nur um verschiedene Personen und Schauplätze, die Episoden scheinen sich auch stilistisch zu unterscheiden bis hin zur verschiedenen Art der Lichtsetzung?
Nach dem Schreiben der Geschichte fiel mir beim Dreh auf, dass jede Filmrolle nach einem anderen Stil verlangt. Beim 35-Millimeter-Film hat ja jede Rolle eine Länge von zwanzig Minuten und ich habe jetzt jeden dieser Abschnitte anders inszeniert. Einen im dokumentarischen Stil, einen anderen wie einen Kostümfilm und wieder einen anderen wie ein Fernsehdrama. Wir haben nicht nur jedes Mal eine andere Lichtstimmung gesetzt, ich habe auch die Schauspieler ganz unterschiedlich inszeniert und genauso unterscheidet sich der Schnitt maßgeblich von Episode zu Episode.

Alle ihre Filme spielen hauptsächlich auf dem Land. Warum kehren Sie den großen Städten immer wieder den Rücken?
Das hat zwei Gründe: Der eine ist einfach, dass ich eine Ausrede brauche, um aus Bangkok rauszukommen, weil ich die Stadt überhaupt nicht mag. Dort herrscht das reine Chaos. Der andere Grund ist, dass ich in einer Kleinstadt aufgewachsen bin und noch so viele Erinnerungen an diesen Ort habe. Jetzt ändert sich in Thailand aber alles so rasend schnell. Dort ist es nicht wie in Europa, wo nach fünf Jahren noch alles genau so aussieht wie vorher. In Thailand kann sich in fünf Jahren eine Menge tun. Für mich ist es deshalb ein leidenschaftliches Anliegen, diese Vergangenheit aufzuzeichnen, bevor sie völlig verschwindet. Vielleicht bin ich bei meinem nächsten Film endlich bereit dazu, mich einem neuen Thema zuzuwenden.

Wenn Sie sich an die Orte Ihrer Kindheit begeben, dann hat das auch etwas mit Reisen zu tun. Ist dieses Unterwegssein ein wichtiges Element in Ihrer Arbeit, oder, noch deutlicher gefragt: Sind Filmemachen und Reisen für Sie etwas Ähnliches oder gar ein und dasselbe?
Es geht für mich um eine Erforschung der Landschaft. Onkel Boonmee spielt in Nordostthailand und beschäftigt sich sehr intensiv mit dieser Region. Im Film wird auch der dortige Dialekt gesprochen, der so stark ist, dass wir den Film untertiteln mussten, als wir ihn in Bangkok zeigten. Da geht es also wirklich um die Reise in ein fremdes Gebiet, eine Reise, die ich auch in meinen Kurzfilmen und Fotoarbeiten dokumentiere. Manchmal stellen meine Arbeiten also wortwörtlich eine Reise dar und manchmal in einem metaphorischen Sinn.

In einem Interview haben Sie gemeint, dass die Möglichkeiten des Kinos noch lange nicht völlig erforscht sind. Was glauben Sie, in welche Richtung sich das Kino noch entwickeln kann, beziehungsweise, was ist die Richtung, die Sie interessiert?
Ich weiß es nicht. Ich merke nur, dass es noch sehr weite unbekannte Bereiche gibt. Vor allem die technologischen Entwicklungen führen zu immer neuen Möglichkeiten, die Magie des Kinos auszureizen. Was aber ganz grundsätzlich ansteht, ist die Emanzipation des Kinos von Literatur, Theater und anderen klassischen Kunstformen. Das Kino muss endlich seinen eigenen Standpunkt finden.