Gedenkmatinee zu Novemberpogromen
Wolf Biermann im Volkstheater
In der Nacht von 9. auf 10. November 1938 erreichte die Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland neue Dimensionen. Während der sogenannten Novemberpogrome wurden jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert und zerstört. Am 7. November 2010 lud Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gemeinsam mit dem Volkstheater Wien zu einer Gedenkmatinee ein.
8. April 2017, 21:58
Der deutsche Liedermacher und einstige DDR-Dissident Wolf Biermann gestaltete die Matinee und las aus dem erschütternden Poem des KZ-Häftlings Jizchak Katzenelson.
Kultur aktuell, 08.11.2010
Biermann als kompromissloser Regimekritiker
Eine Bühne, die Macht des poetischen Wortes und eine Gitarre. Seit den 1960er Jahren sind das die Hilfsmittel, mit denen der Polit-Barde und Dichter Wolf Biermann seine Kritik an den deutschen Verhältnissen formuliert hat. Immer wieder hat Biermann den Finger in die Wunden der deutschen Geschichte gelegt. Zuerst als kompromissloser Regimekritiker in der DDR, der 1976 wegen staatsfeindlicher Gesinnung ausgebürgert wird, später als skeptischer Beobachter der Bonner Republik.
In den 1990er Jahren widmet sich Wolf Biermann, Sohn eines jüdischen Kommunisten, der in Ausschwitz ermordet worden ist, den Verbrechen des Nationalsozialismus. Er übersetzt und vertont Jizchaks Katzenelsons "Großen Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk", ein jiddisches Klagelied, entstanden im Vorhof des Todes.
Eine Stimme aus dem Vorhof des Todes
Bei seiner Lesung im Wiener Volkstheater trug der große Geschichtenerzähler Wolf Biermann das erschütternde Zeugnis eines Todgeweihten vor. Es ist der Text des polnischen Juden Jizchak Katzenelson, der im Aufstand des Warschauer Ghettos mitgekämpft hat und später in einem sogenannten Sonder-KZ im französischen Vittel interniert wird. 1944 folgt die letzte Station des Jizchak Katzenelson: Er wird nach Auschwitz deportiert und ermordet. Zuvor schreibt er in Vittel auf, was er erlebt hat.
"Da schrieb er dieses große Poem mit der Hand auf hauchdünnem Papier", sagt Wolf Biermann. "Dieses Gedicht ist dann auf doppelte Weise gerettet worden. Eine Fassung hat er in drei Flaschen vergraben unter einem Baum in Vittel. Und eine andere Fassung hat eine Frau für ihn nach Palästina geschmuggelt."
In den 1990er Jahren hat Wolf Biermann zwei ganze Jahre der Auseinandersetzung mit Jizchak Katzenelsons Großgedicht gewidmet. Mehr noch: Biermann hat Katzenelsons Poem nicht nur ins Deutsche übertragen und vertont, sondern auch die biografischen Spuren dieses vergessenen Dichters gesucht.