Wie die Geheimdienste Russland beherrschen
Der neue Adel
Die russischen Journalisten Andrej Soldatov und Irina Borogan haben den Aufstieg des FSB unter dem früheren Präsidenten Putin dokumentiert. Unter Medwedew musste der FSB zwar in die zweite Reihe zurückkehren, aber die FSB-Generäle planen bereits für die Präsidentschaftswahlen 2012.
8. April 2017, 21:58
Entmachtung und Rückkehr
Er gilt als die mächtigste Organisationen Russlands: Der Föderale Sicherheitsdienst, kurz FSB, der direkte Nachfolger des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem vorübergehenden Verbot der Kommunistischen Partei in Russland versuchten die damaligen Machthaber die Geheimdienste unter Kontrolle zu bekommen.
Boris Jelzin zerschlug den KGB in mehrere miteinander konkurrierende Organisationen. Die besten Mitarbeiter wechselten in die Privatwirtschaft, und die Niederlagen im Krieg gegen die tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer zeigte die Machtlosigkeit der einst gefürchteten Geheimdienstler.
Doch mit dem Amtsantritt von Wladimir Putin als russischer Präsident änderte sich das Bild. Der ehemalige Oberstleutnant des Komitees für Staatssicherheit KGB ließ immer neue Kompetenzen in die Lubjanka wandern, das Hauptquartier des Geheimdienstes.
Neuer Fokus Wirtschaft
Der FSB sei heute viel mächtiger als es seine Vorgängerorganisationen jemals waren, schreiben die beiden russischen Journalisten Andrej Soldatav und Irina Borogan in ihrem neuen Buch "The New Nobility: The Restoration of Russia's Security State and the Enduring Legacy of the KGB“, das vor kurzem in England erschienen ist.
Etwa 200.000 Mitarbeiter hat der FSB heute, schätzen die beiden, sein Budget ist ein Staatsgeheimnis. Dabei ist nicht zu übersehen, dass der Aufstieg des FSB vor allem den Geheimdienstgenerälen zu Reichtum verholfen hat, sagt Soldatov:
"Die Geheimdienste sind im wirtschaftlichen Bereich viel mächtiger geworden. Viele Geschäftsleute klagen darüber, dass Druck auf sie ausgeübt wird, dass der Streit zwischen Unternehmen mit Hilfe der Geheimdienste ausgetragen wird. Aber man darf auch nicht vergessen, dass dieses System den Wirtschaftsoligarchen nutzt. Sie haben verstanden dass es so angenehmer ist, als vor Gericht zu gehen oder jemandem einen Killer zu schicken, wie das in den 1990ern war."
Kampf gegen "Extremismus"
Im Kampf gegen den Terror hat der FSB in den letzten Jahren mehrmals auf kolossale Art und Weise versagt, etwa bei den Geiselnahmen in einem Moskauer Theater oder dem Überfall auf eine Schule im südrussischen Beslan durch tschetschenische Terroristen. In beiden Fällen kamen hunderte Geiseln ums Leben. Soldatov meint, dass der FSB im Kampf gegen die Feinde des Regimes, gegen sogenannte "extremistische Kräfte", deutlicher effektiver sei als bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen.
"Die Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass es große Proteste gegen das Regime geben kann", so Soldatov. "Extremismus wird in Russland dabei anderes definiert als in Westeuropa. Verstanden werden darunter alle, die Ärger bereiten können, das reicht von nicht anerkannten religiösen Gemeinschaften bis hin zu den Gewerkschaften."
Verklärte Vergangenheit?
Ein weiteres Problem ist, dass die russische Gesellschaft und damit auch die Geheimdienste ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet haben. Das sieht man am Hauptquartier des FSB, der Lubjanka. Das imposanten Gebäude überragt die Moskauer Innenstadt und ist vor allem als eine bekannt: Als Folter- und Hinrichtungsort des NKWD, wie der Geheimdienst unter Stalin hieß.
Zehntausende wurden hier ermordet, hier liefen die Fäden des Gulag-Systems zusammen, einem Netz von Arbeitslagern in dem mehrere Millionen Menschen ums Leben kamen, erklärt Arsenij Roginskij von der Gesellschaft Memorial, die sich die Aufarbeitung der Stalin-Zeit zur Aufgabe gemacht hat: "Bei uns hat es nie eine Reform der Geheimdienste gegeben, es gab keinen Bruch bei der Legitimität der Geheimdienste beim Übergang von einem zu anderen Regime. Daher sieht der heutige FSB seine Wurzeln immer noch in der Tscheka, der Staatssicherheit des Jahres 1917."
"Im FSB sagt man, in unserer Geschichte sind auch schreckliche Dinge passiert, aber im Großen und Ganzen haben wir eine gute und nützliche Arbeit geleistet", so Roginskij weiter. "In anderen Ländern gab es diesen Bruch, es sind neue Leute an die Spitze der Geheimdienste gekommen, man hätte dieses Haus verlassen und daraus eine Gedenkstätte machen müssen. Dann wäre in Russland vieles anderes, aber aus vielerlei Gründen ist es leider nicht passiert."
Service
Andrei Soldatov und Irina Borogan, "The New Nobility: The Restoration of Russia's Security State and the Enduring Legacy of the KGB", Public Affairs
FSB
Agentura
Public Affairs - The New Nobility
Ostblog - ORF-Korrespondent Markus Müller über die Macht des FSB
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