Sexuelle Revolution unter Benedikt XVI.?

Papst: Kondome in manchen Fällen gerechtfertigt

"Im einen oder anderen Fall" könne es in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern, verwendet werden". Damit sagt Papst Benedikt XVI. ja zum Gebrauch von Kondome im Kampf gegen AIDS. Das Oberhaupt der katholischen Kirche verbindet seine Zustimmung zwar mit manchen Einschränkungen, trotzdem ist die Aussage eine Sensation.

Blicke der Welt auf Rom

In Rom hatten wenige Stunden vorher die 24 neuen Kardinäle ihren Kardinalspurpur erhalten, als sich am frühen Samstagabend eine Neuigkeit aus dem Vatikan verbreitete: Papst Benedikt XVI. sagt Ja zum Einsatz von Kondomen im Kampf gegen Aids. "Im einen oder anderen Fall" könne es in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern, "ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität", sagte der Papst dem Autoren Peter Seewald. Das Oberhaupt der katholischen Kirche verbindet seine Zustimmung zwar mit manchen Einschränkungen - aber nicht nur, weil sie so unerwartet kommt, ist sie eine Sensation.

Aids-Katastrophe in Afrika bisher ignoriert?

Das im Sommer in der päpstlichen Residenz Castel Gandolfo vom Papst und Seewald geführte Gespräch, das kommende Woche in Buchform erscheint, könnte zur sexuellen Revolution der katholischen Kirche werden. Denn der Papst warf eine Position über den Haufen, die zwar angesichts des durch Aids in vielen Ländern Afrikas in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen Elends weltfremd erschien, aber wie zementiert wirkte. Benedikt selbst hatte noch im März vergangenen Jahres bei seinem Afrikabesuch für Empörung gesorgt: "Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem", sagte er damals.

Kondome: Eine Möglichkeit von mehreren

Nun findet der Papst nicht nur seine damalige Aussage missverstanden, er bricht auch mit der Position seines Vorgängers Johannes Paul II. Dieser hatte 1993 die eheliche Treue als einziges Mittel gegen Aids bezeichnet. Benedikt nennt nun in einem Atemzug mit Enthaltsamkeit und Treue das Kondom als Schutzmöglichkeit - wenngleich dieses nur ein "Ausweichpunkt" sei, falls die beiden anderen Punkte nicht greifen. In dieser Position sehe er sich mit weltlichen Organisationen auf einer Linie, die inzwischen auch Enthaltsamkeit und Treue im Kampf gegen Aids fordern würden.

Pille wird weiter nicht gutgeheißen

Die Wende des Papstes ist nicht so radikal, dass er etwa allen künstlichen Verhütungsmitteln wie auch der Pille den Segen erteilt. Aber selbst die eingrenzende Formulierung, "begründete Einzelfälle" wie etwa Prostituierte könnten Kondome nutzen, ist ein Quantensprung gegenüber der bisherigen Sichtweise des Vatikans.

"Kondome als Teil der Verantwortung"

Benedikt sieht plötzlich sogar die Chance, dass Menschen durch das Benutzen von Präservativen bessere Menschen werden: Es könne in den Einzelfällen "ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein", "ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will".

Erzkonservative verärgert

Mit seiner Kehrtwende beim Kondom geht der bisher so konservativ aufgetretene Papst auf Konfrontationskurs zum rechten Flügel der Kirche. Gerade die erzkonservativen Gläubigen sahen in der strikten Ablehnung von Präservativen eine besondere moralische Qualität des Vatikans und der katholischen Kirche. Entsprechend laut fiel der Aufschrei in den Internetforen der Erzkonservativen aus: "Der alte Mann ist vor dem Druck zusammengeklappt", hieß etwa die Überschrift eines Artikels auf einer der deutschsprachigen Seiten. Während der Papst diese Gruppen nun heftig verärgert, dürfte er sich im bisher skeptischen liberalen Lager Zustimmung sichern.

Benedikt: Papst kann zurücktreten

Auch ein anderes Tabuthema greift der Papst auf: Spätestens als es seinem Vorgänger Johannes Paul II. in den Monaten vor seinem Tod 2005 für alle Welt sichtbar gesundheitlich sehr schlecht ging, war diskutiert worden, ob ein Papst zurücktreten kann oder sollte. In dem Gespräch äußert Benedikt dazu ein klares Ja: Wenn ein Papst physisch, psychisch und geistig sein Amt nicht mehr erfüllen könne, habe er nicht nur das Recht, sondern unter Umständen auch die Pflicht zum Rücktritt. Mit dieser Definition hat Benedikt einen weiteren neuen Maßstab für die katholische Kirche gesetzt - nach manchen Pannen seines bisherigen Pontifikats wirkt es, als wolle der Papst mit "Licht der Welt" seine eigene Amtszeit erhellen.

Abendjournal, 21.11.2010

UNO begrüßt Ausagen des Papstes

Das UN-Programm gegen Aids (UNAIDS) hat die Aussagen von Papst Benedikt XVI. zum Gebrauch von Kondomen begrüßt. Dass das Oberhaupt der katholischen Kirche die Nutzung von Präservativen in Einzelfällen für erlaubt erklärt habe, sei ein "entscheidender und positiver Schritt nach vorn", erklärte UNAIDS-Chef Michel Sidibe am Sonntag in Genf. "Dieser Schritt erkennt an, dass ein verantwortungsvolles Sexualverhalten und der Gebrauch von Kondomen eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung von HIV spielen", hieß es in der Erklärung.