Roman im Roman von Friedrich Hahn

Von allem Ende an

In Friedrich Hahns neuem Buch "Von allem Ende an" fließen Lesen, Leben, Denken und Schreiben seltsam zusammen und werden am Ende tatsächlich eins. Am liebsten würde Hahns Protagonist seine Wünsche sowie seine Bücher übersetzen lassen, nämlich ins Nichtliterarische.

Man müsste aus dem eigenen Leben austreten können, um dann wohlbehalten wieder zurückzukehren, um von allem Ende an neu zu beginnen."

Der Titel des Romans lässt an Christoph Heins Buch "Von allem Anfang an" denken: Während Hein jedoch die Entwicklung eines 15-Jährigen beschreibt, befasst sich Hahn mit dem 58-jährigen Eigenbrötler Engelbert Steller. Beide Protagonisten tragen Züge ihrer Verfasser. Bei Hahn beispielsweise stimmen sein wahres Alter und sein Lebensraum, nämlich die Steiermark, mit dem des Protagonisten überein. Auch wenn es sich freilich um kein autobiografisches Buch handelt, greifen Fiktion, Wirklichkeit und die Vorstellung davon weitgehend ineinander.

Briefroman von PS

Engelbert Steller, der in dem Kurort Bad Schlichting eine Buchhandlung betreibt, in der er allerdings kaum Bücher verkauft, ja sogar bisweilen Bestellungen verweigert, möchte selbst ein Buch schreiben. Mit vollgekritzelten Notizheften, einem Kopf kurioser Ideen über Frauengeschichten und das Altwerden, macht sich Steller an seinen Briefroman, dessen Autor die Initialen PS tragen soll. Als ein Vornamenregister im Internet den Namen Pascal anbietet, findet Steller zu seiner Figur: "Pascal Seibold. Das war nun der Engelbert Steller in Engelbert Stellers Roman", hält der Erzähler fest, während die Autorpositionen verschwimmen, denn:

Man kann nie ganz absehen von einem selbst, wenn man schreibt. Ich habe große Teile meines Ichs ausgelagert. Wenn ich mich jetzt mit Seibold beschäftige, muss ich nicht mehr in mich gehen, kann schon mal außer mir sein.

Seine Überlegungen kreisen sogar für einen Augenblick um die Idee, dass auch Pascal Seibold selbst schriftstellerische Absichten hegen könnte: Dann wäre quasi eine literarische russische Puppe gelungen.

Antagonistin Krön

Hahns schnörkellose, oft poetisch verdichtete Sprache, die er für seine genauen Beobachtungen findet, aber auch für die sonderbaren Frauenbeziehungen, die er im Laufe der Geschichte entwickelt, lassen in ihrer Ereignislosigkeit an Wilhelm Genazinos Literatur denken. So wird etwa die Krön, die eigentlich Christa Krön heißt und deren Bekanntschaft Steller in einem von ihr geleiteten Selbstfindungsseminar gemacht hat, scheinbar nebenbei und gleichsam ungewollt zur weiblichen Antagonistin. Lakonisch beschreibt Hahn deren Begegnungen, die ziehende Eifersucht Stellers, als sich die Krön plötzlich in einen preisgekrönten Schriftsteller verliebt und gemeinsam mit diesem einen Abend zum Thema "Glück" in Stellers Buchhandlung vorschlägt.

Phasenweise sind Hahns Gedankenspiralen aber auch anstrengend, vor allem wenn er das Stilmittel der aneinander gereihten Hauptsätze zu oft gebraucht. Etwa:

Steller verbrachte eine unruhige Nacht. Selbst das Selbstln brachte dieses Mal keinen Schlaf. Steller musste dann frühmorgens doch noch für etwa zwei Stunden weggedöst sein. Steller schlug irritiert die Augen auf.

Turmhaus mit Schuhschachteln

Dann findet sich der kauzige Buchhändler in seinem Turmhaus wieder. Originell beschreibt Hahn Wohn- und Arbeitsstätte seines Protagonisten. In dem schmalen, U-förmigen Häuschen befindet sich auf jeder Etage ein Raum, den Steller seine "Schuhschachtel" nennt. Ähnlich wie der Turm ist auch Stellers Leben aufgebaut: Das Fundament bilden die Lesesonntage und die Bücher, bei deren Verwaltung und Verkauf das Lehrmädchen Marion an seiner Seite agiert. Sie und auch die Krön - Frauen, also - bringen Aktivität in Stellers Leben: So bekommt die Buchhandlung endlich einen Namen und wird spontan zu einer "Bücherarche". Nicht zuletzt wird Marions Einladung zur Eröffnung von deren eigenem Buchladen schließlich Stellers Leben retten.

Außerhalb des Bücherturms zeichnet Friedrich Hahn treffend das Lokalkolorit des Salzkammergutes, wo er selbst Literatur-Workshops leitet. Hahn beschreibt den Kurort Bad Schlichting, der stark an Bad Aussee denken lässt, den sogenannten Hinterersee, den dort ansässigen Moosingerwirt, der die obligatorischen Lederhosen trägt und Urlaubspostillen gestaltet, sowie das von Steller häufig frequentierte Café Traxelmayer, welches realiter in der Linzer Promenade angesiedelt ist. Dort hält sich Steller gerne auf, isst einen Früchteeisbecher und beobachtet die Kellnerin mit den Augen eines Schreibenden, der alles, was ihm auffällt, sogleich zu Literatur machen möchte.

Ein einsames Leben

Während Steller versucht, die Figur des Seibold klar zu entwickeln, erfährt der Leser des Buches "Von allem Ende an" auch von der Lebensgeschichte des Protagonisten. Der geliebte Großvater - auch dieser ein Sonderling - hatte dem Enkel das eigentümliche Turmhaus überschrieben. Voller Neid wandte sich die Verwandtschaft von Steller ab.

Der Bücherturm bringt kein Glück, sondern wird immer mehr zum Symbol für Stellers einsames Leben, das seltsam an das Haus gebunden scheint. Je weiter die Geschichte in Richtung Finale steuert, und sich der Roman im Roman sowie Zitate von E. M. Cioran, Thomas Bernhard, Djuna Barnes oder Gustave Flaubert zu einer neuen Textur verweben, um so mehr verschmelzen auch hier Literatur und Leben zu einem kompakten Guss.

Service

Friedrich Hahn, "Von allem Ende an", edition laurin bei innsbruck university press

edition laurin - Von allem Ende an