Große Pikionis-Ausstellung in Athen
Bauen am Fuß der Akropolis
In Athen widmet sich eine große Ausstellung dem wohl bedeutendsten griechischen Architekten des 20. Jahrhunderts, dem 1968 verstorbenen Dimítris Pikionis.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 20.12.2010
Wer sich Athen mit Interesse erwandert hat, kennt sie, die meisterhaft leichtfüßige Schule, etwas versteckt an den Hängen des Lykabettus gelegen. Von einem zentralen Bau ausgehend ergießen sich weiße Kuben über das abschüssige Gelände. 1932 hat der Architekt Dimitris Pikionis dieses Gebäude im Bauhausstil errichtet – es war sein kurzer Flirt mit der Architektur der klassischen Moderne, von der er sich danach abwandte, beziehungsweise, die er danach für sich abwandelte, erzählt seine Tochter, Agni Pikioni: "Dieses Werk hat ihn nicht zufrieden gestellt. Obwohl es große Tugenden hat. Die Schule ist heute noch in Betrieb, und ihre Schüler sind stolz, sie zu besuchen. Pikionis wollte aber etwas anderes als eine rein funktionale Reißbrettarchitektur. Er wollte diesen internationalen Stil mit nationalen Elementen verbinden. "
Zur Person
Er ist einer der wichtigsten griechischen Architekten des 20. Jahrhunderts: Dimítris Pikionis. Geboren 1887 auf der Kykladeninsel Syros, in Piräus zur Schule gegangen, danach Studium in Athen und Aufenthalte in München und Paris, wo er seiner anderen Leidenschaft, der Malerei, gefrönt hat. 1923 baut Pikionis sein erstes Haus in Athen. Leider sind viele seiner Bauten abgerissen worden – sie mussten den Hochhäusern weichen, mit denen Athen ab den 1960er Jahren großflächig überzogen wurde.
Die Erde als Spiegelbild unserer Seele
"Sentimentale Topographie" heißt demnach auch einer seiner wichtigsten theoretischen Texte, drei Jahre später verfasst. Pikionis beschreibt darin einen Spaziergang durch die attische Landschaft, oder besser: er beschreibt die Gefühle, die die Landschaft beim Spaziergänger hervorruft. Er beschreibt die Wärme der Sonne, die Qualität des Lichts, die Gerüche, die staubige Erde. Eindrücke, die auch Eingang in seine Architektur finden sollten: " Er war überzeugt, dass die Erde, auf der wir gehen, ein Spiegelbild unserer Seele ist. Und er hat sich sehr für den Erhalt des Landschaftsbildes eingesetzt, etwa dass ihm nicht durch Steinbrüche Gewalt angetan wird. Es war ihm wichtig, dass die Landschaft ihr Gesicht behält."
Landschaft als Teil des Werkes
Die Überzeugung, dass die umgebende Landschaft den Charakter der Architektur vorgeben muss, hat Dimitris Pikionis zum kritischen Regionalismus geführt. Pikionis war daran gelegen, die Tradition mit der Gegenwart zu verbinden und einen Ausblick in die Zukunft zu schaffen. Dazu hat er in ausgedehnten Studien die regionalen Architekturstile verschiedener Gegenden in Griechenland studiert; es interessierten ihn die Unmittelbarkeit und Aufrichtigkeit der regionalen Architektur. Seine eigenen Bauten sind schwebend zwischen gestern und heute.
"Er hat die Architektur nicht abgetrennt von anderen Dingen, er hat sie nicht technisch gesehen. Es ging ihm immer darum, wie sich ein Werk in die Landschaft einfügt, die es aufnimmt. Und wie die Erinnerungen der Menschen und der Landschaft Teil dieses Werkes werden können. Das war das zentrale Thema seiner Arbeit."
Ein Foto am Eingang der Ausstellung zeigt den Architekten um 1960. Eine hagere Figur im hellen Anzug, den Hut in den Händen, gesenkter Blick vor der gewaltigen Landschaft Delphis. In Delphi hat Pikionis ein Hotel gebaut – auch hier hat er den Bau in mehrere Elemente aufgebrochen. Dimitris Pikionis hat seine Bauten der Landschaft immer abgerungen – nicht aufgezwungen. Am deutlichsten wird das in seinem Meisterwerk, dem Wegenetz, das er zwischen 1954 und 1958 rund um die Akropolis angelegt hat. Seine Tochter erinnert sich:
" Er hatte eine riesige Ehrfurcht angesichts dieses Auftrags. Die Gegend rund um die Akropolis war ihm heilig. Wie ist er also an dieses Werk herangegangen? Er war überzeugt, dass es sich nicht am Reißbrett entwerfen läßt. Er hatte natürlich die Grundzüge festgelegt, aber der Rest ist in situ entstanden. Es war gar nicht so leicht, die Funktionäre im zuständigen Ministerium von dieser unorthodoxen Arbeitsweise zu überzeugen. Sie konnten zunächst auch nicht verstehen, weshalb die Arbeit so viel Zeit in Anspruch nahm. Aber Pikionis hat diese Wege tatsächlich Stück für Stück gemeinsam mit den Handwerkern geschaffen. Er war von morgens bis abends vor Ort. Er hat mit den Handwerkern gearbeitet und mittags mit ihnen gegessen. Vier Jahre lang."
Die sanft geschwungenen Wege sind aus Bruchstücken von Marmor und anderem Gestein gefügt, auch Reste abgerissener neoklassizistischer Gebäude sind verarbeitet. Das Ergebnis: eine sensible, unaufdringliche und ganz und gar stimmige Landschaftsarchitektur, von der viele Besucher meinen, sie bestehe seit der Antike. So ganz anders als das in unmittelbarer Nähe entstandene Neue Akropolismuseum, welches sich mit affirmativer Geste in Szene setzt. So bescheiden war Pikionis Ansatz, dass er auch Tonscherben, die die Arbeiter bei den Bauarbeiten im Erdreich fanden, verarbeitet hat.
Ausstellung
Das Benaki-Museum in Athen widmet dem 1968 verstorbenen Architekten derzeit und bis zum 13. März eine große Retrospektive. Es ist dies die erste große Pikionis-Ausstellung seit 1978, kuratiert von seiner Tochter, die selbst Architektin ist.
Benaki-Museum zeigt großen Rückblick
Die große Retrospektive im Athener Benaki-Museum zeigt aber nicht nur sein architektonisches, sondern auch sein malerisches Werk, denn die Malerei war Pikionis erste, seine eigentliche Leidenschaft - Architektur studierte er der Familie zuliebe. Außerdem lässt die Ausstellung seinen Werdegang anhand von Fotografien, Briefen und Dokumenten nachvollziehen.
Von Nachahmern ist seine Arbeit oft als folkloristisch missverstanden worden. Für Dimitris Pikionis aber war die Rückbesinnung auf die Traditionen seiner Heimat nur ein Ausgangspunkt. Im Laufe seines Lebens gesellten sich weitere Einflüsse hinzu – etwa aus der traditionellen japanischen Architektur. Sie flossen ein sowohl in das Werk an der Akropolis wie auch in seine letzte Arbeit, die Gestaltung eines Spielgartens für Kinder im Athener Viertel Filothei. Eine folgerichtige Entwicklung, meint seine Tochter, Agni Pikioni.
Am Ende der Ausstellung ist ein Textauszug angebracht, neben einem Foto von Dimitris Pikionis. Darin heißt es: "Sollte ich manchmal gefehlt haben, so liegt das nicht an der Falschheit meiner Prinzipien, sondern daran, dass ich sie vielleicht nicht richtig umgesetzt habe." Heute ist sein Werk aktueller denn je: Pikionis Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum und sein schonender Umgang mit der Landschaft gilt jüngeren Architekten als Maßstab.