Umstrittene Pläne für Haus der Geschichte

Historikerstreit in Frankreich

Wenn Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy im kulturellen Sektor versucht, Initiativen zu ergreifen, kann man fast sicher sein, dass es Probleme gibt. So auch jetzt mit seinem Ansinnen, ein Haus der Geschichte Frankreichs, ein nationales Geschichtsmuseum, zu gründen.

Kulturjournal, 10.01.2011

Kaum nimmt das Projekt konkretere Formen an, schlägt dem Präsidenten vor allem von Seiten der französischen Historiker geballte Skepsis entgegen - fast ist so etwas wie ein Historikerstreit entbrannt.

Protest reißt nicht ab

Es ist eine Frage von Glaubwürdigkeit und es dürfte daran liegen, dass Nicolas Sarkozy von Anfang seiner Präsidentschaft an Frankreichs Geschichte oft überraschend, unmotiviert und ein wenig beliebig für eigene ideologische Zwecke eingesetzt hat, wenn jetzt der Protest gegen das geplante Museum der französischen Geschichte nicht abreißen will.

Noch am Tag seines Einzugs in den Élysée-Palast begab sich Nicolas Sarkozy zum Beispiel in den Bois de Boulogne, auf die Lichtung, wo im August 1944 35 junge Widerstandskämpfer von den Nazis erschossen worden waren. Kurze Zeit später lancierte er den schnell wieder verworfenen Gedanken, tausende französische Schüler sollten eine symbolische Patenschaft für von Nationalsozialisten ermordete jüdische Kinder übernehmen - selbst die Auschwitz-Überlebende Simone Veil war schockiert.

Brief sollte verlesen werden

Dann verlangte der Präsident, dass alljährlich in den Schulen ein bewegender Abschiedsbrief verlesen wird, den der 17-jährige Widerstandskämpfer Guy Moquet an seine Mutter geschrieben hatte, bevor er von den Nazis exekutiert wurde - Lehrer weigerten sich reihenweise, dies zu tun. Und schließlich hatte Präsident Sarkozy - ohne jede Abstimmung mit den Veteranen und Verbänden ehemaliger Widerstandskämpfer - das Hochplateau von Glières in den französischen Alpen, einen emblematischen Ort des Widerstands gegen die deutschen Besatzer, auserkoren, um einmal jährlich dorthin zu pilgern und der Resistance zu gedenken.

Schon beim ersten Besuch aber hat sich Nicolas Sarkozy so verhalten, dass jedem klar war, dass es ihm um den Schein vor den Kameras und nicht um die Sache ging. Ehemalige Widerstandskämpfer waren so empört, dass sie seitdem einmal jährlich eine Gegenveranstaltung unter dem Motto "Bürger im Widerstand - gestern und heute" organisieren, zu der beim letzten Mal über 3.000 Menschen kamen.

Museum der französischen Geschichte

Präsident Sarkozy hat dann auch einen anderen symbolischen Ort der Resistance gewählt, das Hochplateau des Vercors bei Grenoble, als er vor einem guten Jahr die Gründung des künftigen Museums ankündigte: "Wir müssen auf unsere Geschichte stolz sein und das Erlernen der Geschichte Frankreichs zu einer Priorität für die Kinder in unseren Schulen machen. Deswegen habe ich an dem Gedanken festgehalten, ein Museum der französischen Geschichte zu schaffen, das alle Kinder unserer Schulen besuchen werden. Es wird das modernste Museum überhaupt werden, nicht in der Vergangenheit fixiert sein, sondern lebendig sein und wird Geschichte mit Blick auf die Zukunft lehren."

Historiker lehnen Projekt ab

Doch letzten Oktober haben fast alle namhaften Historiker Frankreichs in der Tageszeitung "Le Monde" einen Aufruf unterzeichnet, in dem sie das Museum, für das rund 60 Millionen Euro zur Verfügung stehen werden, vehement ablehnen. Sie sehen in der Initiative des Staatspräsidenten in erster Linie ein rückwärts gerichtetes, ideologisches Vorhaben, das in engem Kontext mit der heftig kritisierten Diskussion über Frankreichs Nationale Identität steht, die der Präsident im letzten Jahr vom Zaun gebrochen hatte.

"Nicolas Sarkozy hat keine wirkliche Beziehung zur Geschichte", so der Historiker Nicolas Offenstadt. "Jedes Mal, wenn er darüber spricht, instrumentalisiert er sie. Für ihn ist Geschichte da, um die Nationale Einheit aufzuwerten und um einen nationalen Roman zu erzählen. Ich glaube nicht, dass der Präsident der Republik ein kritisches Verständnis von Geschichte hat, als eine Disziplin, die zum Nachdenken anregt. Was Sarkozy interessiert, ist die Legende eines majestätischen Frankreich, und nicht Geschichte als Feld der Reflektion. Er macht von der Vergangenheit politisch Gebrauch - im Sinne seiner Politik der nationalen Identität. Man zelebriert das ewige Frankreich, das Frankreich der Könige und der Präsidenten, im Sinne der Debatte, die er über die nationale Identität des Landes führen ließ. Zusammengefasst würde ich sagen: Das Museum ist das historische Schaufenster der Politik der nationalen Identität von Nicolas Sarkozy."

Standortsuche

Untergebracht werden soll das künftige Haus der französischen Geschichte nicht in einem Neubau - dafür sind die Staatskassen zu leer -, sondern in einem Teil des französischen Nationalarchivs, einem historischen Gebäudekomplex im alten Pariser Marais-Viertel auf einer Fläche von drei Hektar. Das Konzept für das Museum aber bleibt, auch nach mehreren Expertenberichten, immer noch recht vage.

Nicolas Lemoine, Präsident des Nationalarchivs: "Das Deutsche historische Museum, das heute so etwas wie eine Referenz ist, geht von den Kelten bis Angela Merkel, wenn ich so sagen darf. Ich weiß nicht, ob wir von den Galliern bis Nicolas Sarkozy gehen werden, aber die Idee ist, dass man eine breite Sequenz der Geschichte unseres Landes im Ablauf zeigt, aber natürlich auf kritische Art."

Die Seele Frankreichs

Vielen Historikern aber war bereits 2008, in einem ersten Grundsatzpapier zum Konzept des Museums, eine Formulierung im Hals stecken geblieben, die da lautete: Das Museum solle die Seele Frankreichs hervorheben.

"Dieser Ausdruck 'Seele Frankreichs' ist für Historiker sehr problematisch", betont die Historikerin Arlette Farge. "Das ist ein extrem rückschrittlicher Diskurs im Vergleich zu dem, was wir in den Geschichts- und Sozialwissenschaften machen. Es ist nicht an uns, den Franzosen zu erklären, was die französische Seele ist. Es geht darum: Welche Ereignisse haben dazu geführt, dass Frankreich so ist wie es heute ist und in der Zukunft sein wird."

Projektleiter beruhigt

Jean Francois Hébert, bisher Präsident des Schlosses von Fontainebleau, ist der Projektleiter für das Haus der französischen Geschichte. Er versteht die Aufregung der Historiker nicht wirklich: "Als man das Centre Pompidou vor über 30 Jahren geschaffen hat, hat man ihm vorgeworfen, es wolle bestimmen, was zeitgenössischen Kunst ist, man werde dort nur Künstler sehen, die der Präsident liebt. Das stimmt doch wohl nicht. Die kulturellen Einrichtungen unseres Landes haben gewisse Garantien und akzeptieren politische Einflussnahme nicht, das wäre auch der Tod des Projektes."

Ein Projekt, welches, geht es nach Präsident Sarkozy, im Jahr 2015 seine Pforten öffnen soll.