Mike Leighs "Another Year"

Das kleine Glück im Alter

Realistische Sozialdramen, gewürzt mit einer gehörigen Portion schwarzen, britischen Humors, dafür kennt und liebt man Filmregisseur Mike Leigh. Sein neuer Film "Another Year" widmet sich der Altersgruppe "60 plus" und der Suche nach Glück im Herbst des Lebens.

Kultur aktuell, 26.01.2011

"Man kann über jeden Menschen einen Film machen." Was Mike Leigh da im Interview behauptet, das hat er schon hinlänglich bewiesen. Einem obdachlosen Zyniker hat er sich schon gewidmet oder einer einsamen Fabrikarbeiterin. In "Another Year" dreht sich das Geschehen um ein Ehepaar. Er Geologe, sie Therapeutin, beide sind sie begeisterte Hobbygärtner, jenseits der 60, und seit Jahrzehnten schon glücklich verheiratet.

Die beiden heißen übrigens Tom und Gerri. "Es war interessant, denn als ich die Idee mit den Namen hatte, kam jemand zu mir, der meinte, dass er ein Paar kenne, das so heißt", erzählt Regisseur Mike Leigh. "Das Gewöhnliche und das Absurde auf diese Weise nebeneinanderzustellen, finde ich einfach unwiderstehlich."

Synchron, 27.01.2011

Regisseur Mike Leigh im Gespräch mit Christian Fillitz

Die wichtigsten Nebensachen der Welt

Wie immer folgt Leigh nicht dem einen großen Plot sondern den vielen, wichtigsten Nebensachen der Welt. Er erzählt von Alkoholproblemen, Autokauf und einem Todesfall und inszeniert dabei so packend, komisch und lebensnah, dass man sofort hineingerissen wird ins Geschehen. Unweigerlich fragt man sich, wie dieser Mann zu seinen Geschichten kommt.

"Es gibt bei mir kein Drehbuch", sagt Mike Leigh. "Wenn ich im Vorfeld die Schauspieler auswähle, mit denen ich meine Geschichte entwickeln möchte, dann verlasse ich mich dabei auf meine Erfahrung und Intuition. Ich arbeite dann einzeln mit ihnen, um ihre jeweiligen Figuren zu entwerfen. Dafür diskutieren und probieren wir monatelang herum, bis diese fiktive Welt langsam lebendig wird. So etwas wie ein Drehbuch entsteht eigentlich erst am Set, unmittelbar vor dem Dreh. Ich kann nämlich keine Szene schreiben, wenn ich mich nicht an ihrem tatsächlichen Schauplatz befinde."

Dem Alltag den Spiegel vorhalten

Damit sind wir auch schon beim wiederkehrenden Thema Mike Leighs, der großen Kunst, sein kleines Glück zu finden oder eben haarscharf daran vorbeizuschrammen. Utopische Spektakel und Superhelden, wie sie die Traumfabrik Hollywood endlos reproduziert, sind ihm ein Graus. Da hält er lieber dem Alltag den Spiegel vor:

"Von Hitchcock gibt es dieses berühmte Zitat, dass Hausfrauen, die den ganzen Tag mit Waschen, Aufräumen und Bügeln verbracht haben, im Kino keinen Film über eine Hausfrau sehen wollen, die den Tag mit Waschen, Aufräumen und Bügeln verbringt. Bei allem Respekt für Mister Hitchcock halte ich diesen Spruch doch für blanken Unsinn. Meiner Erfahrung nach genießen es die Menschen nämlich nicht nur, nein, die haben auch eine Menge davon, einen Film zu sehen, der etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun hat."

Am Anfang von "Another Year" wird eine Figur gefragt, wie glücklich sie sich auf einer Skala von eins bis zehn einschätzen würde. Eins sagt die Frau frustriert. Anders der Zuschauer, der aus Mike Leighs Film kommt. Der findet sich nämlich mit ziemlicher Sicherheit am oberen Ende der Skala wieder.

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