Mit dem Dichter blödeln

Sepp Dreissinger über Thomas Bernhard

"Wie ich in Salzburg gelebt habe, hab ich mir immer gedacht: irgendwas stimmt nicht an dieser Stadt, irgendwas ist ganz komisch. Und dann habe ich 'Die Ursache' von Thomas Bernhard gelesen - und seit damals ist der Bernhard-Bazillus in mir drin." Sepp Dreissinger, gewissermaßen der "Leibfotograf" Thomas Bernhards.

"Erzbischöfliches, dumpfes Bürgertum, dazu permanenter Schnürlregen", das sei die Stimmung in Salzburg gewesen, die der Dichter 1975 in seiner autobiografischen Erzählung "Die Ursache" zum Ausdruck brachte. Der junge Dreissinger - gebürtiger Vorarlberger, der am Mozarteum in Salzburg studierte und sich mit 27 Jahren der Fotografie zuwandte - wurde sofort in seinen Bann gezogen.

Dazu kam ein gewisses Mysterium, das Bernhard bereits zu jener Zeit umgab. Menschenscheu, ohne Telefonanschluss lebte er auf seinem Bauernhof in Obernathal bei Ohlsdorf. Kaum ein Journalist, geschweige denn ein Fotograf wurde vom scheuen Dichter vorgelassen.

Ein Hof wie eine Festung

Es war "irgendwann zwischen 1976 und 1978", so Sepp Dreissinger, als er sich, zusammen mit dem Journalisten Kurt Hoffman ein Herz fasste und beschloss, Thomas Bernhard kennenzulernen. An die 20 Mal fuhren die beiden Tapferen zu dessen Hof, jedes Mal war das Gebäude wie eine Festung verriegelt.

"Dann war eines Tages der Hof offen, wir sind rein, jeder Schritt war gleichsam ein Schritt in die Ungewissheit, ein Abenteuer. Wir haben an die Holztür innen geklopft - und dann kommen langsam Schritte - wie in einem Krimi - die Stiegen runter, es war eine Holzstiege, eine Wendeltreppe und wir haben nicht gewusst, was passiert jetzt?" Was passierte, war der Beginn einer Beziehung, die bis zum Tod Bernhards im Februar 1989 anhielt.

Bernhards "Leibfotograf"

Dutzende Male traf Dreissinger den geheimnisvollen Künstler, um ihn zu fotografieren oder um einfach mit ihm zu "blödeln", wie er sagt. Die Begegnungen sind nun in der Ausstellung "Das führt alles zu nix" in der Wiener Galerie WestLicht fotografisch dokumentiert. Des Weiteren würdigt Dreissinger Thomas Bernhard, der am 9. Februar 2011 80 Jahre alt geworden wäre, mit einem Dokumentarfilm, sowie mit dem Bild-Band "Was reden die Leute".

Man habe bei den Begegnungen in der Tat meist herrlich miteinander geblödelt, sagt Dreissinger, das eine oder andere Mal kam es jedoch auch zu Vorstößen in Bernhards Abgründe: der große Übertreibungskünstler offenbarte im Gespräch eine zutiefst verletzte Seele:

"Er hat erzählt, dass er nur deshalb ins Mozarteum gegangen ist, damit er mit Gleichaltrigen zusammen ist, das war nach seiner Lungenkrankheit. Und einmal hätte er 50.000 Schilling für einen Preis bekommen sollen vom Herrn Paumgartner von den Salzburger Festspielen. Da steht der Bernhard also, mit einem extra ausgeborgten Anzug, und sagt: 'Ich bin da angeschrieben mit 50.000 Schilling'. Aber man sagt zu ihm: 'Was willst denn du da, du Bürscherl?' Und er kriegt nichts. Er hat oft solche Niederlagen einstecken müssen, da ist es klar, dass man verbittert wird. Einmal hat ihn Kurt Hoffmann gefragt: 'Was ist für Sie Glück?' Da hat der Bernhard gesagt: 'Glück ist, wenn ich Sie beide jetzt nicht derschlag!' Mit solchen Fragen hat er nichts anfangen können."

Glück ist, allein zu sein

Über Glück konnte man mit Thoma Bernhard nicht reden, über den Tod sehr wohl. Ein Missverständnis musste dabei jedoch ausgeräumt werden: "'Die Leut glauben immer, ich möchte mich jeden Moment umbringen, derweil liebt niemand das Leben mehr als ich'", hat der Bernhard einmal gesagt, und ich bin überzeugt dass es wirklich so war."

Bereits vom Tod gezeichnet saß Thomas Bernhard im Wiener Cafe Bräunerhof, als Sepp Dreissingers letzte Fotos des Dichters entstanden. Die ganze Zeit über habe man nur gelacht, erinnert sich Dreissinger. Das Lachen müsse jedoch ein Schutzwall gewesen sein, eine Abwehr des Todes, aber auch eine Abwehr der Menschen, die ihm zu nahe kamen:

"Ich habe nicht gewusst, dass er bereits vom Tod angehaucht war, denn er hat eine ganze Stunde nur gelacht und geblödelt. Aber er hat sich damit die Menschen vom Leib gehalten. 'Nähe tötet', hat er gesagt und: 'Mein Idealzustand ist das Alleinsein. Mein Haus ist wie ein riesiger Kerker.'"

Das große Schweigen

"Begegnen" konnte man Thomas Bernhard übrigens auch in einer sehr ungewöhnlichen Weise - nämlich gar nicht. "Hans Jürgen Syberberg wollte einmal, dass Bernhard ein Stück für die Edith Clever schreibt. Dafür sollten die beiden zusammenkommen. Aber Clever und Bernhard sind dagestanden und haben 20 Minuten kein Wort miteinander gesprochen. Da haben sich zwei ganz eindeutig nicht getroffen."

Thomas Bernhard starb am 12.Februar 1989. Die Worte zum Abschied hallen bis heute in Sepp Dreissinger nach: "Thomas Bernhard hatte immer diesen Spruch beim Auseinandergehen: 'Wenn wir nicht gestorben sind, sehen wir uns eh wieder!' Und das Erste, was er gesagt hat beim Treffen: 'Sie sehen, ich bin eh nicht gestorben.' Und das nächste Mal, wie ich ihn gesehen habe, da war er gestorben."

Service

"Thomas Bernhard - Das führt alles zu nix", Fotografien von Sepp Dreissinger, 4. Februar bis 8. Mai 2011, WestLicht,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (EUR 4,50).

WestLicht