Europa, USA und Israel müssen helfen

Perthes: "Demokratie hat gute Chancen"

Volker Perthes, Experte für internationale Beziehungen und Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sieht gute Chancen für demokratische Entwicklungen im Nahen Osten, macht aber darauf aufmerksam, dass die Staaten des Westens und auch Israel viel dazu beitragen müssten, diese Entwicklungen zu fördern.

"Stagnation für Stabilität gehalten"

Nahostexperte Volker Perthes "Im Journal zu Gast" am 12.02.2011 bei Peter Fritz

Was will das Militär?

Man sollte die Ereignisse mit der gleichen Freude und positiven Erwartung zur Kenntnis nehmen wie das die Ägypter tun, rät Perthes im Ö1-Interview "Im Journal zu Gast". Doch dann fange die politische Arbeit an, bei der dem Militär eine tragende Rolle zukomme. Denn in Ägypten verstehe sich das Militär nicht nur als Rückgrat des Staates, sondern sei auch tatsächlich die stärkste Institution im Staat. "Wenn jemand einen sanften, geordneten Übergang hinbekommen kann, dass ist es wahrscheinlich die Institution Militär." Die Frage werde nun sein, ob die Militärführung tatsächlich einen Übergang zur Demokratie ermöglichen will oder eher einen zu einer neuen Militärdiktatur.

Positive Beispiele

Die Chancen eines demokratischen Übergangs beurteilt Perthes als realistisch. Er verweist auf Beispiele in Lateinamerika oder in Indonesien, auch wenn es Rückschläge geben könne. Die Menschen wollten unmittelbar sehen, dass sich Demokratie wirtschaftlich auszahlt, wie man das auch in Osteuropa erlebt habe. Demokratie erlaube auch mehr unternehmerische Kreativität und die Rückkehr von Menschen, die im Ausland Karriere gemacht haben.

Europa muss helfen

Die EU dürfe nun aber nicht aus Sorge vor allfälligen Flüchtlingswellen aus Tunesien und auch aus Ägypten die "Festungsbrücken hochziehen". Stattdessen sollten die Grenzen für reguläre, institutionalisierte Migration geöffnet werden. Gerade in Tunesien habe man gesehen, wie wichtig der Beitrag der jungen Generation war, die in Frankreich gelernt hat und nun zurückgekommen ist und zum Teil Ministerposten übernommen hat.

Islamisten ohne Chance?

Dass Ägypten zu einem "Gottesstaat" wie der Iran werden könnte, glaubt Perthes nicht. Die Moslembrüder seien zwar da, aber sie hätten erkannt, dass sie mit dem Zug laufen müssen und ihn nicht steuern können. Die Bewegung in Ägypten gehe eher von einer bestimmten Generation aus als von einer Partei oder einer Bewegung. Die Zwanzig- bis Dreißigjährigen seien die größte Altersgruppe in Ägypten, überwiegend besser ausgebildet als die vorangegangene Generation und grundsätzlich skeptisch eingestellt, auch den Islamisten und anderen "-Ismen" gegenüber. Dieser Bewegung hätten sich dann die anderen Schichten angeschlossen.

Israel muss Haltung ändern

Außerdem erwartet der Experte keine Gefahr für den Frieden mit Israel. Eine demokratische Regierung hätte kein Interesse daran, den Friedensvertrag zu beenden, und selbst die Moslembrüder hätten entsprechendes signalisiert. Es wäre auch gut, wenn Israel seine skeptische Haltung ändern und eine demokratische Entwicklung Ägyptens begrüßen würde. Politiker aus den USA und Europa hätten Stabilität oft mit Stagnation verwechselt: "Sie haben gesehen, dass sich nichts ändert und das für Stabilität gehalten." Der Krieg der USA gegen den Irak habe diese Entwicklung nicht herbei geführt, sondern im Gegenteil, ein Jahrzehnt lang aufgehalten, so Perthes.

Blick in die Zukunft

Ein wahrscheinliches Szenario für die Region, so Perthes: Tunesien könnte sich mit Hilfe aus Europa zu einer gefestigten Demokratie entwickeln. Ägypten könnte ebenfalls demokratische Verhältnisse entwickeln, wenn auch mit mehr Schwierigkeiten. Auch in den anderen arabischen Ländern dürften sich Veränderungen ergeben. In den liberalisierten Monarchien, wie Jordanien und Marokko, werde der König ein Stück Macht abgeben und das jeweilge Parlament an Autorität gewinnen. In Syrien und den palästinensischen Gebieten werde die Entwicklung vom Nahost-Friedensprozess abhängen.

Volker Perthes lebt und forscht in Berlin. Seit vielen Jahren befasst er sich intensiv mit politischen Entwicklungen im Nahen Osten. Für die neuen Protestbewegungen in der Region hat er die Bezeichnung "2011er" geprägt, in Anlehnung an die Protestgeneration des Jahres 1968 in Europa.