Richard Galliano in Wien
Bach und Piazzolla
Manche halten ihn schlicht und einfach für den besten Akkordeonisten der Welt: der Franzose Richard Galliano hat am 21. Februar 2011 ein Konzert mit einem Sextett im Wiener Konzerthaus gegeben. Es war de facto das Eröffnungskonzert des diesjährigen Akkordeon Festivals.
8. April 2017, 21:58
Gleichzeitig präsentierte Galliano auch sein jüngstes abgeschlossenes Projekt: eine Auswahl von Bach-Kompositionen; im vergangenen April ist die CD zum Programm erschienen. Das Konzert vor vollem Haus war aber nicht nur eine PR-Aktion, denn auch wenn einige Bach-Stücke zu hören waren, spielte Galliano auch eigene Kompositionen, sowie Werke seines großen Freundes, des Tango-Erneuerers Astor Piazzolla.
Kulturjournal, 22.02.2011
Die CD ist eine Art Vollendung einer langjährigen Beschäftigung mit Bach, erzählt Richard Galliano. Schon als Kind hat er Bach gespielt. Er hat ja bereits im zarten Alter von vier Jahren mit dem Akkordeonspielen begonnen, sein Vater, ein italienischer Immigrant war selber Akkordeonist. Allerdings hat er damals, wie er meint, denselben Fehler gemacht, wie alle seine Kollegen, nämlich, dass er das Orgelrepertoire Bachs gespielt hat, mit einem kleinen Minderwertigkeitskomplex der Orgel gegenüber, denn man sagt ja oft ,dass das Akkordeon ähnlich wie eine Orgel klingt, aber das sei eine Falle, sagt Galliano. Und das Erstaunliche sei, dass das Akkordeon zu Zeiten Bachs nicht existiert hat, und man meint, er hätte für dieses Instrument geschrieben. Und so ging es ihm leicht von der Hand.
"Emotion ist in den Noten"
Auf erstem Blick scheint es leicht zu sein Bach zu spielen, aber das täuscht, meint Galliano: "Man darf nicht 'überspielen', denn die Emotion ist in den Noten, in der Auswahl der Noten; auf einmal ist eine da, und mit ihr die Emotion. Das ist sehr subtil. Auch bei Mozart verhält es sich so: Es scheint leicht zu sein, aber in einem Konzert muss man sehr aufpassen, dass man keine Note versäumt. Das Ganze ist ein Gesamtkunstwerk, wie eine Kathedrale, da würde dann auch auf einmal zum Beispiel ein Turm fehlen. Es muss eigentlich perfekt sein."
RG lässt sich nicht gern in Genres festlegen. In seiner 45-jährigen Karriere hat er alles gespielt: Nach seinem Studium am Konservatorium in Nizza, wo er auch den ersten Preis für Posaune erhalten hat, ist er nach Paris gegangen, wo er etwa Juliette Greco bei ihren Chansons-Auftritten begleitet hat. Entscheidend war damals allerdings seine Begegnung mit Claude Nougaro, dessen sehr poetische Chanson-Texte mit einer aufwendigen, meist Jazz-Musik kombiniert sind.
"Es war eine meiner wichtigsten Begegnungen", so Galliano. "Nougaro ist in Deutschland und Österreich nicht sehr bekannt, in Frankreich kennt ihn allerdings jeder. Er war ein wunderbarer Künstler. Er hat mir das Chanson schmackhaft gemacht, und die Art, wie man ein Chanson schreibt - das ist eine der schwierigsten Dinge in der Musik!" Drei Jahre lang leitete Galliano Nougaros Orchester und arbeitete für ihn als Arrangeur und Komponist.
Bleibende Begegnung mit Astor Piazzolla
Schon sehr früh hatte Galliano seine Liebe zum Jazz entdeckt, und da gab es wenig Akkordeonisten. Neben italienischen Vorbildern wie Fugazza, Volpi oder Fancelli zitiert Galliano die Amerikaner Art Van Damme und Ernie Felice, der mit Benny Goodman gespielt hat. Das bestärkte ihn in seinem Willen, dem Akkordeon einen eigenen Platz zu geben, nicht nur im Jazz. Was nicht so einfach war, denn in den 1960er Jahren war das Akkordeon ziemlich verpönt in Frankreich. Es gab da einen regelrechten musikalischen Rassismus, meint Galliano.
Die wahrscheinlich wichtigste Begegnung war für Galliano die mit Astor Piazzolla. Galliano befand sich da gerade in einer Krise, erzählt er: "Piazzola, das war ein Stern in meinem Leben! Nach zehn bis 15 Jahren Karriere - ich spielte auch und spiele noch immer auch Posaune - begann ich mich zu langweilen, meine innere Flamme brannte immer kleiner. Und als ich Piazzolla traf, diesen Mann, der 30 Jahre älter war als ich und der dieselben Zweifel wie ich mit einem eng verwandten Instrument erlebt hatte und einen ähnliche Weg gegangen war, der hat mir die Schlüssel gegeben und gesagt, es sei eigentlich nicht so schwer: 'Sie spielen ein Dutzend Stücke, sie stellen eine Formation von vier Musikern zusammen, auf die Sie sich verlassen können, und dann geht's los!' Er hat meine Flamme wieder angezündet!"
Und noch etwas Wesentliches hat Piazzolla ihm gegeben: "Als ich Piazzolla damals zuhörte, empfand ich vergessen geglaubte Emotionen, die ich in meiner Jugend empfunden habe. Man hört etwas und auf einmal kommen einem die Tränen, und das ist das Schöne. Für mich ist das heute das Wichtigste in der Musik. Früher habe ich gemeint, es seien die Melodie, die Harmonien oder der Rhythmus. Heute sehe ich das anders: Egal in welchen Musikstil, es muss etwas passieren - eine Freude, eine starke Emotion, dann hat man gewonnen, dann ist die Musik Interesssant!"
Tango ist "Musik der Reise"
Mit Piazzolla teilte Galliano einiges: Beide waren Söhne italienischer Immigranten - Galliano in Frankreich, Piazzolla in Argentinien. Und noch etwas verband die beiden: der Tango. Wenn man Galliano zuhört, wie er Tango spielt, dann hat man das Gefühl, dass er da ganz in seinem Element sei, dass der Tango seine Musik sei. Astor Piazzolla habe ihm das eines Tages übrigens bestätigt, er spiele Tango wie ein Argentinier, hat er gesagt - um dann sofort zu korrigieren: nein, wie ein Italiener. Beide haben ja italienische Wurzeln.
"Für mich ist der Tango eine Musik der Reise, mit dem Schaukeln des Schiffes, wenn es über das Meer fährt", sagt Galliano. "Es ist der Rhythmus der Milonga, und dazu habe ich immer die Choreographie des Tangos um Kopf, der ja einer der schönsten Tänze überhaupt ist. Ich muss allerdings dazu sagen, dass der Tango für mich durch Piazzolla kristallisiert wurde. Ich spiele nur Piazzolla oder eigene Tango-Kompositionen. Die anderen höre ich gerne, ich mag zum Beispiel Carlos Gardel sehr, aber mir ist bewusst, dass das nicht meine Geschichte ist."
Die DNA des Musikers
Worum geht es in der Musik? Für Galliano ist es der Klang, der Ton macht den Musiker, es ist seine DNA, es ist das, woran man einen Chet Baker, mit dem Galliano gespielt hat, einen Stan Getz oder einen Astor Piazzolla erkennt.
"Man hört nur 2 Noten - und Bandoneon-Spieler gibt es Hunderte -, aber diese zwei Noten, wenn Piazzolla sie spielt, weiß man, dass er es ist. Es ist seine DANN", meint Galliano. "Der Ton ist das Wichtigste in der Musik, dadurch entsteht die Emotion. Man kann sehr virtuos spielen - und ich habe nichts gegen Technik, im Gegenteil, sie kann wunderbar sein, aber die Technik ohne einen schönen Ton, das führt zu nichts, das berührt niemanden!"
Technik und Ton: Richard Galliano hat beides. Und mit seinen 60 Jahren bleibt er neugierig wie ein Jugendlicher. Eben hat er eine Platte mit Kompositionen von Nino Rota aufgenommen, er findet darin den Geist der Filme Fellinis wieder, mit den Akkordeonisten, die auf der Straße spielen.
Service
Übersicht
- Klassik