Werwölfe, Vampire und anderes Gesindel

Russische Science Fantasy

Seit es den Lenin'schen Arbeiter- und Bauernstaat nicht mehr gibt, seit infolge dessen der Sozialistische Realismus als Richtlinie für Kulturschaffende ausgedient hat, haben Magie und Übersinnliches Einzug gehalten in die russische Literatur.

Die Basis sei Unbehagen. Unbehagen vor der Zukunft und dem in Russland ausufernden Kapitalismus. Weiters eine kräftige Portion Misstrauen in "Die da oben", vermengt mit jeder Menge Sex & Crime und einem guten Schuss Gesellschaftskritik. Das Ergebnis lange genug im sattsam bekannten Sud der Marke "Wir Kleinen können eh nichts tun" marinieren. Und dann geht's an die Endfertigung: geschliffene Sprache, satirische Namensgebung und jede Menge Magie. Werwölfe, Hexen, Seelenleser, mal schwarz, mal weiß gefärbt. Das ergibt einen mindestens 300 Seiten russischen Kultroman.

Die Anderen sind auch nicht anders

Das Rezept funktioniert. Sergej Lukianenko stellt der Menschheit eine ausgefeilte Hierarchie von "Wächtern" gegenüber, die vier Bände lang im Dienst der Menschen, aber auch in ihrem eigenen Interesse eben die Menschen vor den Übergriffen der Anderen schützen. Diese Anderen sind allerdings auch nicht viel anders. Keine Rede davon, dass die einen die Guten und die anderen die Bösen wären. Das erfährt man aber erst gen Ende des Werks, ebenso wie die Tatsache, dass es auch bei den magischen Wesen nicht anders ist als bei den Menschen: die Unterläufel glauben an Ideale, die Oberen kochen ihr eigenes Süppchen.

Sexuelle Hyper-Erlebnisse

Das gilt auch für das Kultbuch von den Werwölfen von Viktor Pelewin, erschienen 2004. Hier treibt ein Geheimdienstchef ein ganz finsteres Spiel um die Ausbeutung unterirdischer Energiereserven, wobei ihm seine Fähigkeiten als Werwolf sehr gelegen kommen. Bis er auf seine Gegenspielerin trifft, A Huli, eine hoch bezahlte, hoch begehrte Edelprostituierte.

Ihr Geschäft ist ganz anderer Art: Sie erfüllt ihren Sexualpartnern die bizarrsten Wünsche. Aber keiner ihrer Freier ahnt, dass die sexuellen Hyper-Erlebnisse nur Suggestion waren, und dass A Huli auch keine Frau ist, sondern eine der seltenen Wer-Füchsinnen, die sich von der sexuellen Energie ihrer Opfer ernähren.

Das ist der Ausgangspunkt für einen der großen Bestseller Russlands "Das Heilige Buch der Werwölfe". Wobei das Buch die echten Fans des Splatter-Genres gar nicht so begeisterte. Zu viel Anspielungen auf die neue Realität Russlands. Hübscher Gedanke: die da oben seien gar keine echten Menschen, nährten sich aber von der menschlichen Energie.

In der Moskauer Metro

Ein anderer Aspekt, eine Art sanfte Magie beherrscht den Roman "Der Animator" von Andrej Volos. Annahme: man könne verstorbene Seelen als Lichtflamme in einem Glaskolben konservieren. Weiterung: Diese Seelenbeeinflussung könne eventuell auch schon an Lebenden stattfinden. Aufgabe: Das Lesen von seelischer Energie habe zur Terrorverhinderung beizutragen. Finale: ein von Terroristen besetztes Theater, viele Tote.

Und immer wieder ist Moskau Schauplatz des fantastischen Geschehens, und da gerne die Metro. Ekaterina Sedia nennt ihre Fantasy "Die geheime Geschichte Moskaus" und lässt da Menschen und Fabelwesen - und ihre Leser - in der Unterwelt einen Streifzug durch die jüngere russische Geschichte erleben.

Anders Dmitry Glukhovsky, der seinen in der U-Bahn Überlebenden die Bürde auferlegt hat, trotz aller Widrigkeiten eine neue Zivilisation zu schaffen - und die Welt oben wieder zu erobern. Auch im oberirdischen Moskau wimmelt es von "Anderen", etwa im Roman "Ljod. Das Eis" von Viktor Sorokin. Er stellt mit Hilde des Eises, das vom Tunguska-Meteoriten stammt, eine grausige Verbindung zwischen der russischen Gegenwart und den Psy-Experimenten der SS her.

Verfolgter Bulgakow

Im heutigen Russland wird das Schreiben von Fantasy nicht mehr geahndet, wie böse auch immer die Kritik an den herrschenden Verhältnissen wäre. Mikhail Bulgakow dagegen wurde für die Charakterisierung des "Neuen Menschen" als einem verwandelten Hund noch mit der Vernichtung seiner schriftstellerischen Existenz bestraft.

Service

Sergej Lukianenko, "Die Wächter-Bücher", Heyne

Viktor Pelewin, "Das Heilige Buch der Werwölfe" Luchterhand

Andrej Volos, "Der Animator", Hanser

Ekaterina Sedia, "Die geheime Geschichte Moskaus", Klett-Cotta

Dmitry Glukhovsky, "Moskau 2033", Heyne

Vladimir Sorokin, "Ljod. Das Eis", Berlin Verlag

Michail Bulgakow, "Das Hundeherz", dtv