Ein Western der Coen-Brüder

Oscar-nominiertes "True Grit"

Mittlerweile hat man das Gefühl, die Coen-Brüder können machen, was sie wollen. Und es wird für große Aufmerksamkeit sorgen. Die Regisseure aus Minnesota, früher gern als Eigenbrötler abgetan, haben sich von der unabhängigen Filmemacherszene ins Zentrum der Traumfabrik vor gearbeitet. Und das obwohl sie alles andere als berechenbar oder leicht zu kontrollieren sind.

Ethan, der für gewöhnlich Regie führt, und Joel, der meist als Produzent fungiert, drehen Horrorfilme und Screwball-Komödien, Dramen und Film Noirs. Und das sehr erfolgreich, seit mittlerweile über 25 Jahren. Nur an einem Western haben sie sich noch nie versucht. Bis jetzt. "True Grit" ist der erste Versuch der öffentlichkeitsscheuen Brüder, sich in der Meisterklasse des amerikanischen Kinos hervorzutun. Und siehe da: die Geschichte eines vierzehnjährigen Mädchens, das sich am Mörder ihres Vaters rächen will, ist nicht nur für insgesamt zehn Oscars nominiert, sondern auch der bisher erfolgreichste Film der Coen-Brüder in den Vereinigten Staaten.

Von Gott verlassen

Zwei Haudegen im Wilden Westen: der eine ist ein versoffener, einäugiger US-Marshal, die andere ein 14-jähriges Mädchen aus streng religiösem Haus, mit ebenso strengem Haarzopf. Gott ist mächtig in dieser Gegend, aber irgendwie scheint er Mattie Ross im Stich gelassen zu haben. Vor wenigen Tagen hat ein bekannter und steckbrieflich gesuchter Gauner ihren Vater erschossen.

Die Behörden helfen ihr bei der Suche nach dem Mörder nicht, also muss die älteste Tochter das Schicksal der Familie selbst in die Hand nehmen. Und der legendäre US-Marshal Rooster Cogburn soll ihr dabei helfen, denn der Vatermörder Chaney hat sich ins Indianerland abgesetzt, dem die weißen Siedler für gewöhnlich fern bleiben.

Mattie braucht Unterstützung von einem erfahrenen Pistolenhelden, wenn sie dort überleben will. Cogburn ziert sich zuerst, sattelt aber schließlich auf: zur Rächerpartie gesellt sich außerdem ein tollpatschiger, aber gutherziger Texas-Ranger, der Chaney schon lange dingfest machen will. In Kürze wird sich zeigen, wer von ihnen am meisten "True Grit", also Schneid, hat: der einäugige Deputy-Marshal, der einarmige Texas-Ranger oder das 14-jährige Mädchen.

Fortsetzungsgeschichte von Charles Portis

1968 veröffentlicht der amerikanische Autor Charles Portis die Vorlage zu diesem lakonischen Western. Wie schon sein erster Roman "Norwood" erscheint auch "True Grit" als Fortsetzungsgeschichte in der "Saturday Evening Post". Portis hat ein Talent dafür, gleichzeitig klassisch und satirisch zu erzählen, er umarmt die amerikanische Kultur und macht sich lustig darüber.

Vor seiner Karriere als Schriftsteller dient er mehrere Jahre lang als Marinesoldat im Koreakrieg. Es ist vor allem diese Zeit der Entwurzelung, von Zufallsbekanntschaften und erlebten Gräueln, die seine Romane prägen. Portis schreibt gern über Reisen; seine Figuren verlassen bekanntes Territorium und gehen auf die Suche, vor allem nach sich selbst.

"True Grit" lässt er von zwei untypischen Westernhelden dominieren: Der abgehalfterte, in mehrfacher Hinsicht kaputte Rooster Cogburn und das mit Bibelzitaten um sich schmeißende Mädchen Mattie führen Western-Klischees ad absurdum. Kein Wunder also, dass die Coen-Brüder, bekannt für ihren Hang zu Ironie und Lakonie, den Stoff verfilmt haben. Das sieht auch Jeff Bridges so, der in "True Grit" den Rooster Cogburn spielt.

Unberechenbare Regie-Brüder

Als Künstler gelten Ethan und Joel Coen als ebenso unnahbar und unberechenbar wie ihre Figuren. Die Brüder haben einen so leidenschaftlichen wie entemotionalisierten Zugang zur Filmgeschichte, die sie in ihren eigenen Arbeiten immer wieder verwerten. Klassische Genremodelle nehmen sie und stellen sie auf den Kopf - oder spitzen sie derart zu, dass oft nur mehr ein Metafilm übrig bleibt.

In mancher Hinsicht ist auch "True Grit" ein Western über einen Western: Die für das Genre typischen Panoramaaufnahmen von Landschaften löschen sie fast gänzlich aus ihrem Entwurf; das Coen-Land sind zuallererst immer die Figuren, Wiesen, Wälder und Hügel sind bloße Schauplätze für ihre Konfrontationen. "True Grit" ist bei aller räumlichen Weite und der Unbestimmtheit der Reise ein erstaunlich starrer Film geworden, ähnlich engstirnig wie die Figuren. Auch das Dialogbuch und die Schauspieler machen immer wieder deutlich, dass das die Coen-Version eines klassischen Westerns ist.

Schräge Figuren im Zentrum

"Der Marshal" heißt die erste Verfilmung von Charles Portis' Roman. 1969 spielt ein gesundheitlich angeschlagener John Wayne darin den Rooster Cogburn - und wird für seine Leistung mit dem einzigen Oscar seiner Karriere ausgezeichnet. Inszeniert wird "Der Marshal" von einem der großen Regisseure des klassischen Hollywood: Henry Hathaway. Im Unterschied zum aktuellen Coen-Film hält sich die frühere Version weniger orthodox an die Vorlage, schiebt die Figur des Marshals ins Rampenlicht.

2010 steht hingegen wie im Roman Mattie Ross im Zentrum des Geschehens. Es sind ihre Erinnerungen, aus denen der Film besteht, die sie uns als alte Frau viele Jahre später anvertraut. Romantisch ist "True Grit" dennoch nicht: Die Coen-Brüder vermeiden es wie schon in ihren früheren Filmen, den Zuschauer zu emotionalisieren, verzichten auf dramaturgische Raffinesse.

Als Regisseure konzentrieren sie ihre Filme auf die schrägen Figuren im Zentrum, alles andere ist nur Ballast. Insofern lässt sich in "True Grit" auch weniger ein Leitmotiv denn eine Autorenhandschrift finden, weniger eine Geschichte erleben denn ins Coen-Country reisen. Dort regiert der Zufall, dort ist Gott, wenn es ihn überhaupt gibt, zynisch, dort gibt es keine Erlösung. Der Western ist also die ideale Genremetapher für das Coen-Werk: ein Land ohne Recht und Gesetz, in dem immer nur der überlebt, der als erster zieht und schießt.

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