China hat Tibet längst in der Hand

Dalai Lama: Abschied ohne Folgen?

Der Dalai Lama will als Führer der tibetischen Exilregierung formell zurücktreten. Der 75-Jährige erklärte, er werde seine Befugnisse an eine von den Tibetern frei gewählte Regierung übertragen. Peking sieht in dem Schritt einen "Trick". Große Veränderungen dürften tatsächlich nicht zu erwarten sein.

Peking kann gelassen bleiben

Analyse von China-Korrespondent Jörg Winter im Mittagsjournal-Gespräch am 10.03.2011 mit Andrea Maiwald

Ein halbes Jahrhundert in Chinas Hand

Der Rückzug des Dalai Lama von der politischen Führung Tibets ändert für das chinesische Regime nichts. Denn aus der Sicht Pekings hat Tibet seit einem halben Jahrhundert eine politische Führung, nämlich die kommunistische Partei Chinas. Auch die Nervosität der chinesischen Führung angesichts der Umstürze in der arabischen Welt dürfte dadurch nicht weiter steigen. In Tibet wächst bereits die dritte Generation heran, die nichts anderes kennt als die kommunistische Führung. In den vergangenen Jahrzehnten ist Tibet von Han-Chinesen unterwandert worden. China hat trotz klarer historischer Ungerechtigkeiten in Tibet viel investiert. Man hat das Hochplateau wirtschaftlich entwickelt. Und es ist fraglich, wie viele Anhänger der Dalai Lama in Tibet tatsächlich noch hat.

Letzte Chance?

Ob der Rückzug des Dalai Lamas ein Zeichen der Resignation gegenüber der chinesischen Besatzungsmacht ist, das ist schwer zu beantworten. Er selbst sagt ja, dass er nicht resigniert hat und sich nicht aus der Verantwortung stehlen will. Ein Hintergrund könnte sein, dass es die letzte Möglichkeit ist, einen unabhängigen poltischen Führer Tibets im Exil zu etablieren. Denn der Dalai Lama ist alt. Wenn er stirbt, wird Peking mit Sicherheit die Regie übernehmen und einen Dalai Lama auswählen. Und da will man offenbar zuvor bereits einen weltlichen Führer im Exil aufstellen.

Schwierige Nachfolge

Man könnte im Rückzug des Dalai Lama aber auch eine Schwächung der Exil-Tibeter sehen. Der Dalai Lama hat die Bewegung der Exiltibeter Jahrzehnte lang überstrahlt, als unangefochtene Autorität. Es ist schwer vorzustellen, wer künftig diese Bewegung politisch mit ähnlichem Einfluss und Charisma anführen könnte.

Ankündigung im Exil

Der Dalai Lama hat am Donnerstag seinen Rückzug von seiner Funktion als Chef der tibetischen Exilregierung angekündigt. Er wolle das Amt einem "frei gewählten" Führer übergeben, sagte das Oberhaupt der Tibeter im indischen Dharamsala, dem Sitz der Exilregierung. Kommende Woche wolle er das Exilparlament in einer Sitzung darum bitten, ihm einen Rücktritt zu ermöglichen. Die Ankündigung erfolgte am 52. Jahrestag des Volksaufstandes der Tibeter 1959 gegen die chinesische Besatzung.

Mittagsjournal, 10.03.2011

"Die Zeit ist gekommen"

Der 75 Jahre alte Friedensnobelpreisträger Tenzin Gyatso, so sein buddhistischer Mönchsname, sagte, er habe schon in den 1960er Jahren stets betont, dass die Tibeter einen vom Volk frei gewählten Führer benötigten, dem er seine Macht übergeben könne. "Heute ist eindeutig die Zeit gekommen, dies umzusetzen." Er werde sich aber weiterhin für die Sache der Tibeter einsetzen.

Politische Befugnisse

Der Dalai Lama war bisher sowohl der spirituelle Führer der tibetischen Buddhisten als auch der Chef der Exilregierung: Diese residiert seit der Flucht der tibetischen Führung vor den chinesischen Machthabern während des Tibetaufstands 1959 im indischen Dharamsala. Bisher hat der Dalai Lama eine überragende Rolle in der exiltibetischen Bewegung. Er kann beispielsweise bisher das Parlament in Notfällen zu Sondersitzungen einberufen. Auch ernennt er direkt ein Mitglied des zwölfköpfigen Ständigen Ausschusses, der zwischen den Sitzungen tagt. Außerdem nominiert er bis zu drei Parlamentarier.

Gewaltloser Widerstand

Der Dalai Lama ist aber auch das Sinnbild des gewaltlosen Widerstands der Tibeter gegen die Besatzung ihrer Heimat. 1950 beim Einmarsch der Chinesen in das tibetische Hochland war der damals 15-Jährige sowohl spirituelles als auch politisches Oberhaupt seines Volkes. Tenzin Gyatso suchte damals zunächst das Gespräch mit Chinas neuer kommunistischer Führung. Doch neun Jahre später, auf dem Höhepunkt des Aufstands der Tibeter, sah er sich im März 1959 zur Flucht nach Indien gezwungen. Zehntausende Landsleute folgten ihm.

Sinn in Frage gestellt

Bei jungen Exiltibetern ist diese Politik umstritten. Viele glauben, die Forderung nach Autonomie habe nach zahlreichen gescheiterten Gesprächsrunden mit China keinen Sinn mehr. Dennoch hält der Dalai Lama an seinem Kurs fest. Nach Jahrzehnten im Exil sei es eine "große Errungenschaft", dass die tibetische Sache weiterhin lebendig sei und auch die internationale Gemeinschaft großen Anteil daran nehme, sagte er unlängst - auch im Wissen darum, dass er mit seinem persönlichen Wirken einen erheblichen Anteil daran hat.