Mahlers Achte Symphonie
Vom ewig Weiblichen?
Sie heißt Symphonie der Tausend, auch wenn höchstens 350 Leute mitwirken. Aber sie hat es in sich. Ein lautes, schon über 100 Jahre altes Monster, verstörend, brutal, abgehoben ... Mahler nannte seine VIII. Symphonie "das Größte, was ich bis jetzt gemacht" (wie man ja oft gerade die schwierigen Kinder zu loben versucht).
27. April 2017, 15:40
Er widmete sie vor seinem Tod noch "seiner lieben Frau Alma Maria" (hauptsächlich als Versöhnungsgeste nach heftigsten Eheproblemen).
Komponiert wurde sie 1906/1907, also kurz vor Mahlers Abgang aus Wien und seiner Tourneen- und USA-Zeit, von einem Mann, der Raubbau an seiner Physis betrieb und zum Welt-Musikmann Nr. 1 aufstieg.
Uraufführung mit Mahler am Pult
Es war das letzte eigene Riesenwerk, das Mahler selbst uraufgeführt hat. München, September 1910, ein inszeniertes Kultur-Ereignis von Rang; anwesend waren unter vielen zum Beispiel Mann, Schönberg, Webern, Strauss, Casella, Reinhardt, Zweig, Stokowski, Siegfried Wagner - Alma fehlte. Eine Verabschiedung von Mahler und ein Endspiel der damals beinahe tausendjährigen, tonalen europäischen Musik vor der Umwälzung aller Werte? (Nachbemerkung: Wäre so etwas heute bei einer Uraufführung jenseits irgendwelcher Jackson- oder Dylan-Restelverwertungen noch denkbar?)
Die Symphonie besteht aus zwei Teilen: Pfingsthymnus und Zeilen aus dem Schluss von Goethes Faust II. Erforderlich sind: Riesenorchester inklusive Orgel, mehrere Chöre und acht Solist/innen. Die Symphonie behielt eine Sonderstellung im Repertoire. Es haftet ihr noch allemal etwas Parasakrales an.
Zuchtmeister und Schmerzensmann
Im Rahmen der einjährigen Ö1 Serie über Mahler, den Klangverführer, Zuchtmeister und Schmerzensmann, bringen wir eine Aufnahme unter Leonard Bernstein (Salzburg 1975, u.a. mit Margaret Price, Agnes Baltsa, Hermann Prey, den Wiener Philharmonikern sowie Staatsopernchor und Singverein). Wie stets gibt es Interpretations- und Werkvergleiche aus der Entstehungszeit.
(Nachbemerkung 2: Was für Texte liegen dem zugrunde! Man nimmt sie ja kaum wahr in dieser oft eruptiven, sentimentalistischen Musik. Aber ist man sich im Konzertsaal, vor dem Player, beim Zuhören von Ö1 eigentlich klar, was da verkündend besungen wird? Veni, creator spiritus - Anrufung des Heiligen Geistes, er möge Wohnung nehmen in uns, Gnaden, Trost, Frieden spenden, aber auch Geist und Sinne hell machen. Gut. Aber dann, im viel längeren zweiten Abschnitt, dem vom Goethe-Faust? Was tut man, heute, ohne sich zu verwundern, sich lustig zu machen, sich zu ärgern, das alles nicht als skandalösen, machistischen Blödsinn abzutun? "In Bergschluchten, zwischen heiligen Anachoreten gelagert zwischen Klüften", wo man singt: "Waldung, sie schwankt heran … Woge nach Woge spritzt … Löwen, sie schleichen stumm, freundlich um uns herum"; oder ein "Pater Ecstaticus" meint: "ewiger Wonnebrand, glühendes Liederband, siedender Schmerz der Brust, schäumende Gotteslust …"; sodann "stürzt, liebevoll im Sausen" ein "Pater Profundus", während "Engel und selige Knaben" sagen: "jene Rosen aus den Händen liebend-heil'ger Büßerinnen halfen uns den Sieg gewinnen … diesen Seelenschaft erbeuten"; und, der "Doctor Marianus" inmitten, "ekstatische Frauen und Büßerinnen" sowie "einige Selige" singen: "wer zerreißt aus eigner Kraft der Gelüste Ketten … wir wurden früh entfernt von Lebechören"; und so fort, bis dann am Schluss, zitiert bis heute, das "Weibliche uns hinan zieht". Warum hat Mahler seine monströse Bekenntnis-quasi-Oper so geschrieben? Wir dürfen, eindringend in die Tausender-Symphonie, viel spekulieren.)