Experte: Teilrückzug kommt zu früh
Polizei und Armee übernehmen Kontrolle
In drei Provinzen und vier Provinzhauptstädten Afghanistan übergeben die internationalen Schutztruppen die Sicherheitskontrolle an die einheimische Polizei und Armee. Ein wichtiger Schritt zur Übernahme der Selbstverantwortung der Afghanen - aber er kommt zu früh, sagt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 22.03.2011
Übergabe zur Unzeit?
Der Schritt soll den Beginn des Übergabeprozesses markieren, an dessen Ende - geplant ist 2014 - die internationalen Schutztruppen das Land endgültig verlassen sollen. Und er findet zu einem Zeitpunkt statt, wo die Zahl der zivilen Opfer einen Rekordstand erreicht hat. Es ist noch nicht viel an Territorium, das die afghanischen Polizisten und Soldaten nun allein überwachen sollen: Drei relativ ruhige Provinzhauptstädte: Herat, Mazar-e-Sharif, Mehtariam, und - weniger sicher - die Stadt Lashkar Gah in der Unruheprovinz Helmand. Dazu kommen die drei Regionen Kabul, Panshir und Bamian.
Schritt verfrüht
Die afghanischen Sicherheitskräfte seien in letzter Zeit zahlenmäßig wohl sehr gewachsen, sagt Thomas Ruttig vom unabhängigen Afghanistan Analysts Network (AAN). Ob ihre Qualität aber ausreicht, die genannten Städte und Provinzen zu sichern, bezweifelt der Experte. Die Lage werde übertrieben positiv dargestellt, damit sie in den Rückzugszeitplan der USA und der anderen Staaten passt.
Gelegenheit für Taliban
Mit dem Schritt würden in den truppenentsendenden Ländern Fortschritte gezeigt, die es in der Realität nicht gebe, so Ruttig. Die Sicherheit habe sich in den vergangenen zehn Jahren ständig verschlechtert. Die Taliban könnten sich jetzt auf jene Gebiete stürzen, aus denen sich die westlichen Truppen jetzt formal zurückziehen.
Längeres Engagement
Es wäre wichtig, dass vor allem die NATO-Staaten sich mit der de facto Realität in Afghanistan befassten, so Ruttig. Sie müssten erkennen, dass die Probleme in Afghanistan bis 2014 nicht gelöst sein werden. Man müsse sich auf ein verlängertes Engagement in Afghanistan einstellen.
Karsai fehlt Glaubwürdigkeit
Zugleich zeichne es sich ab, dass Teile der US-Truppen ohnehin länger im Land bleiben würden, ähnlich wie im Irak, wo einige 10.000 als Ausbilder und Berater deklariert, weiterhin stationiert sind. Und in der Regierung von Präsident Karsai habe sich der Westen auch nicht einen wirklich gutes Gegenüber geschaffen. Denn wenn man genau hinsehe, dass zeige sich, dass die Regierung Karsai ineffektiv und korrupt sei, der gerade deshalb Glaubwürdigkeit unter den Afghanen fehle. Die nötioge verlässliche regierung sei in Afghanistan nicht vorhanden.