Der politische Islam im Westen

Eine Moschee in Deutschland

Die Rolle des Islam in Europa geht bereits auf den Zweiten Weltkrieg zurück, hat der Journalist Stefan Meining für sein spannend zu lesendes Buch recherchiert. Dabei spielt die Moschee in München eine bedeutende Rolle.

Anschlag auf das World Trade Center

Am 26. Februar 1993 wurde ein erster Anschlag auf das World Trade Center in New York verübt. In der Tiefgarage des Nordturms detonierten 700 Kilogramm Sprengstoff. Sieben Stockwerke wurden schwer beschädigt, sechs Menschen kamen ums Leben. Sechs arabische Islamisten wurden später verhaftet und zu jeweils 240 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, darunter auch der Ägypter Mahmud Abuhalima.

Am 11. September 2001 wurde ein zweiter Anschlag auf das World Trade Center verübt, ein Anschlag, der die Welt veränderte. Im Zuge der Ermittlungen wurde auch das erste Attentat wieder unter die Lupe genommen, auch die Vergangenheit von Abuhalima. Die Spurensuche führte unter anderem nach Deutschland, nach München in die Wallnerstraße. Dort, in einer eher tristen Umgebung im Norden der Stadt, steht eine stattliche Moschee, seinerzeit Sitz der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands. Was Abuhalima dort wollte – es wurde nie endgültig geklärt. Fest steht: Eine Terrorzentrale war die Moschee in München nicht. Fest steht aber auch: Ein reines Gebetshaus war sie auch nicht.

Die Geschichte der Münchner Moschee

"Eine Botschaft, die von München ausging, die immer wieder propagiert worden ist, auch in der Zeitschrift, die diesem Zentrum nahe stand, war schlichtweg, dass der Islam die Grundlage politischen und gesellschaftlichen Handelns sein sollte", sagt Stefan Meining, der Autor des Buches. "Dann kommt man sehr schnell zu dem Punkt, an dem man fragen muss, inwieweit verträgt sich diese Vorstellung mit dem, was wir unter westlicher Demokratie verstehen? Aber man muss immer wieder dazu sagen, es gibt keinen Beleg, dass hier Terroristen gemacht wurden. Das ist ganz wichtig festzustellen."

Der Journalist Stefan Meining hat die Geschichte dieser Münchner Moschee rekonstruiert und in seiner ebenso brillant recherchierten wie nüchtern und sachlich referierenden Untersuchung die verwickelten Beziehungen zwischen Moscheebaukommission, Muslimbruderschaft und Gaddafi-Geldern ans Licht gebracht, zwischen Deutscher Wehrmacht, Kaltem Krieg und CIA.

"Ich habe mich immer gefragt, warum gibt es hier seit 1973 eine Moschee, und zwar eine relativ große Moschee mit einem großen Minarett?", so Meining weiter, "also zu einer Zeit, als das Thema Islam, Moscheebau überhaupt keine Rolle gespielt hat. Und dann habe ich angefangen zu recherchieren. Das war eine unglaublich langwierige, schwierige journalistische Recherche. Angefangen habe ich damit Ende der 90er Jahre, und bis ich dann wirklich des Pudels Kern gefunden habe, die ganze Hintergrundgeschichte, diese Verknüpfung von Zeitgeschichte, Lokal- und auch Weltgeschichte, das hat einige Jahre gedauert."

Freiwillige aus Russland

Meinings Geschichte beginnt im Zweiten Weltkrieg, lange vor der Grundsteinlegung zur Münchner Moschee. Als die Verluste an der Ostfront immer dramatischer wurden, kam die deutsche Heeresleitung auf die Idee, Freiwillige aus den sowjetischen Gebieten zu rekrutieren - um "deutsches Blut" zu sparen, wie es hieß. Trotz der Katastrophe von Stalingrad waren die deutschen Anwerbeaktionen erfolgreich, nicht zuletzt, weil sich die Muslime von Stalin unterdrückt und verfolgt sahen. Und Hitler vertraute ihnen: ein überzeugter Moslem könne kein Bolschewik sein. So kam es, dass mehrere Hunderttausende Muslime Dienst in der Wehrmacht, aber auch in der SS taten.

Nach der Niederlage der Deutschen beschlossen die Alliierten die Repatriierung der in Deutschland verbliebenen Ausländer. Für die sowjetischen Muslime ein Horror - bedeutete doch eine Rückführung in Stalins System nichts anderes als den Gulag oder die Hinrichtung. Viele entzogen sich dem durch Selbstmord. Anderen gelang es, eine türkische Herkunft nachzuweisen oder zu fingieren, was ihnen die Ausweisung ersparte. Oder sie versteckten sich, wie Ibrahim Gacaoglu, der in Kärnten Unterschlupf fand, später nach Bayern zog und 1953 in München die "Religiöse Gemeinschaft Islam" gründete, einen kleinen, nicht politisch, sondern religiös und sozial orientierten Verein.

Islam als Waffe im Kalten Krieg

München wurde zum Zentrum der sowjetischen Emigranten. Das blieb auch den Amerikanern nicht verborgen. Als sie zu Propagandazwecken unter Mitwirkung des Geheimdiensts CIA in Europa einen Radiosender aufbauten, "Radio Liberation", der die Völker der Sowjetunion erreichen sollte, wählten sie München zum Standort und fanden unter den "displaced persons" prädestinierte Mitarbeiter. "Der Islam wurde zu einer Waffe im Kalten Krieg", schreibt Meining.

"Letztendlich ist diese Anwerbeaktion, die auf amerikanischer Seite erst so gegen Ende der 40er Jahre einsetzte, eine Folge des Kalten Krieges gewesen mit der Sowjetunion, als man feststellte, wir haben niemand in der Sowjetunion an Agenten, der für uns arbeitet", berichtet Meining. "Also griff man zurück auf die deutschen Nachrichtendienstler, Stichwort Gehlen, der bis 1945 Fremde Heere Ost leitete, also die Sowjetspionage betrieb, und natürlich auf dieses kleine Häuflein sowjetischer Emigranten. Und zu diesem kleinen Häuflein sowjetischer Emigranten zählten nicht nur die Ukrainer, die Russen, sondern eben auch die Muslime aus der Sowjetunion. Und die USA waren glücklich und zufrieden, dass sie ihr Reservoir hatten von Menschen, die russisch sprachen, sogar die Sprachen der nicht-russischen Minderheiten, und die verlässliche Partner waren im Kampf gegen den Bolschewismus."

Gründung der Moscheebau-Kommission

Die Muslime waren in Deutschland angekommen, eine eigene Moschee aber blieb ihnen bis dato verwehrt. Um dieses Projekt voranzutreiben, wurde im Frühjahr 1960 in einer Münchner Hähnchenbraterei die Moscheebau-Kommission gegründet, aus der später die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland" hervorging. Doch nicht der unpolitische Gacaoglu gab hier den Ton an, sondern orthodoxe Muslime, gebildete Araber, die Mitglieder der Muslimbruderschaft waren, in ihrer Heimat verfolgt wurden und im Ausland Karriere machten - wie der Ägypter Said Ramadan.

Mit der Moscheebau-Kommission nahm ein "einzigartiges Projekt seinen Anfang", schreibt Stefan Meining in seinem Buch und meint damit die Geburt des politischen Islam in Westeuropa, mit arabischen Akademikern und deutschen Islamkonvertiten an der Wiege.

"Und weil es sich um Intellektuelle gehandelt hat, haben diese Menschen auch Artikel verfasst, Bücher, und somit die Religion verwandelt in eine politische Programmatik", so Meining. "Darum darf man auch vom politischen Islam sprechen. Der Islam wird als Begründung hergenommen für eine politische Programmatik, was beispielsweise den Umgang zwischen Mann und Frau, Erziehung der Kinder, aber auch Verhaltensweisen in der Umwelt betrifft. Das ist weitaus mehr als Religion. Das ist Politik."

Die "Programmschmiede"

Doch es sollte noch 13 Jahre dauern, bis die Münchner Muslime zu ihrer eigenen, repräsentativen Moschee kamen im Stadtteil Freimann. Interne Querelen und finanzielle Engpässe verzögerten den Bau. Erst ein libyscher Diktator, der Einfluss und Reichtum demonstrieren wollte, ermöglichte ihre Fertigstellung: Muammar al-Gaddafi.

"Das Faszinierende bei dieser Gemeinschaft, die hier im München entstanden ist, war, dass selbst als man ganz klein war, als nur wenige Hunderte Muslime hier gelebt haben, man weit voraus in die Zukunft geblickt hat", so Meining, "und dass man schon damals an eine Islamisierung Deutschlands gedacht hat. Dass man Zukunftsmodelle entworfen hat, wie ein islamisch aussehendes Deutschland funktionieren könnte. Dass man schlichtweg sich als gesellschaftspolitische Kraft verstanden hat - zu einer Zeit, als es hier noch kaum Muslime gegeben hat. Heute würde man sagen, wie eine Art Think tank oder Programmschmiede."

Aufruf zum Kampf gegen Ungläubige

Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan und der Revolution im Iran 1979 schlugen auch die Muslime im Umkreis der Münchner Moschee radikalere Töne an. In pathetischer Dschihad-Rhetorik wurde zum Kampf der Gläubigen gegen die Ungläubigen aufgerufen, wurden der Islam nicht als Religion, sondern als allumfassende Ordnung, und ein "schariakonformes" Leben gepredigt, wurde die Missionierung der westlichen Welt propagiert – mehr oder weniger unbeachtet von Medien und Verfassungsschutz.

Das änderte sich erst mit dem Anschlag auf das World Trade Center – nicht jenem von Abuhalima und Co., sondern jenem vom 11. September – als fahrlässige Ignoranz einer Terrorverdachts-Hysterie wich. Der Islam in toto wurde obsolet. Und die Münchner Moschee fristete kein Schattendasein mehr.

Führende Köpfe der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" und der Muslimbruderschaft wurden nun als Strippenzieher des internationalen Terrorismus betrachtet, als Finanziers der Hamas und der al-Qaida, und beschäftigten den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - ohne dass die verdächtigen Personen juristisch belangt werden konnten.

"Die Rolle, die diese Moschee heute noch spielt, ist unglaublich schwer abzuschätzen", meint Meining. "Früher, als man sich nicht beobachtet gefühlt hatte, als man nicht den Druck gespürt hatte einer medialen Aufmerksamkeit, da konnte man sehr gut feststellen, in welche Richtung diese Moschee ungefähr läuft. Heute ist es unglaublich schwer zu sagen, was dort wirklich passiert. Diese Moschee ist ein Anlaufpunkt für Gläubige, aber eben auch ein Sinnbild für die Undurchdringlichkeit des politischen Islam in Deutschland und in Europa."

Beitrag zum Verständnis der Geschichte

"Weltkarrieren politischer Islam-Funktionäre nahmen an der Isar ihren Anfang", schreibt Stefan Meining in seinem Buch "Eine Moschee in Deutschland", und belegt deren "weltumspannende Kontakte" von Pakistan bis in die USA. Heute ist es um die Münchner Moschee relativ still geworden, die Islamische Gemeinschaft in Deutschland hat ihren Sitz nach Köln verlegt.

"Das Islamische Zentrum mit der Moschee am Rand der Münchner Isarauen ist aus dem Spiel", glaubt Meining, dessen fesselndes und doch nie reißerisches Buch zum Verständnis der Geschichte des Islam in der westlichen Welt einen unentbehrlichen Beitrag liefert.

Service

Stefan Meining, "Eine Moschee in Deutschland. Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen", Verlag C. H. Beck

C. H. Beck - Eine Moschee in Deutschland

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