Buch über Wohnen und Bauen am Land
Die Freuden des Landlebens
Während die Stadt in den letzten Jahren verstärkt zum Gegenstand von Forschungen, Ausstellungen und Publikationen geworden ist, wird das Land und die Landschaft von der Architekturtheorie, der Soziologie und der Kulturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtet. Nun hat Sabine Pollak ein Buch dazu herausgegeben.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 05.04.2011
Land wird Vorstadt
Wo Stadt beginnt und Land aufhört, ist oft nicht mehr feststellbar – die Grenzen lösen sich auf. Zersiedelung nennt man die Tendenz, dass Ortschaften sich in den unbebauten Raum, also in die Landschaft, ausdehnen, während Ortskerne ausdünnen und Stadtränder breiter werden. "Wenn wir so weiterbauen, wird irgendwann ein Rest von Land überbleiben und die Stadt wird ein ausufernder, verschwimmender Teppich. Alles könnte zu Stadtrand werden, schon in zwanzig bis dreißig Jahren", sagt die Herausgeberin Sabine Pollak, Architektin und Professorin für Urbanistik an der Kunstuniversität Linz.
Utopien gefragt
Vernachlässigt wird das Potenzial des Landes als Ort für Experimente, so Pollaks These. Ansetzen kann das utopische Denken bei einfach nachvollziehbaren und statistisch belegbaren Bevölkerungsentwicklungen: ein Großteil der Ehen wird geschieden, Kinder wachsen bei Alleinerziehern auf, die Menschen werden immer älter, und die Arbeitswelt verlangt Mobilität und Flexibilität. Folglich gibt es einen Bedarf nach Architekturen, die unterschiedlichen Familienverhältnissen und Lebensphasen angepasst werden können.
"Dass man mit junger Familie in ein Haus einzieht und dort bis ins hohe Alter bleibt, ist eine Illusion", meint Pollak, "und genau da muss man auch ansetzen: dass ich vorübergehend eine gut funktionierende Wohnung finde, die aber die Qualitäten eines Hauses hat. Genau das ist ja was fehlt, darum wollen ja alle ein Haus."
Lebensziel Eigenheim
"Das Einfamilienhaus ist eine konkrete Utopie, in der sich viele Sehnsüchte bündeln. Ihre Realisierung ist mit großen Hoffnungen, Ängsten, Risiken und Investitionen verbunden. Diese negativen Aspekte werden lieber verdrängt, als artikuliert, sind aber latent vorhanden", schreibt die Architekturkritikerin Isabella Marboe in ihrem Beitrag zum Buch "Die Freuden des Landlebens".
Alternative Wohnmodelle
Das Einfamilienhaus, dessen Errichtung durch günstigen Baugrund und Wohnbaubeihilfen von den Behörden gefördert wird, gehört für viele Österreicher zum Lebensentwurf, und dieser Wunsch muss akzeptiert werden, meint Sabine Pollak. Dennoch gibt es alternative Beispiele gemeinschaftlicher Wohnformen, etwa Baugruppen, also selbstorganisierte Interessensgruppen, die ein Bauprojekt vom Finden des Grundstücks bis zum Bezug mittragen.
Ein weiteres Beispiel ist altersgerechter Wohnbau, wie das im Buch dokumentierte Projekt "Betreubares Wohnen Spillern" von Roland Koeb und Sabine Pollak selbst: Für einen Ort in der Nähe von Stockerau haben die Architekten, gemeinsam mit einem aufgeschlossenen Bürgermeister und einer Hilfsorganisation, ein Wohnmodell für alte Menschen entwickelt. Fünfzehn kleine Wohnungen gruppieren sich um einen Gemeinschaftsraum mit einem offenen Laubengang. "Das Ziel ist, dass alte Leute dort möglichst lang leben können, solange sie noch keine Betreuung brauchen, aber auch danach. Wir haben versucht, einen Zwischenbereich zu finden."
Leben auf dem Land in einer idealen Zukunft
In Interviews mit Bürgermeisterinnen, Raumplanern und Vertreterinnen von Wohnbaugesellschaften - ebenfalls im Buch enthalten - wird Interesse an neuen Wohnformen geäußert. Doch das allein bringt noch keine Abkehr von alten Strukturen. Gefragt ist eine Diskussion auf hohem Niveau, um festzustellen wie und wohin sich das Landleben und die Landschaft entwickeln werden.
In ihrem "Erfahrungsbericht vom Leben auf dem Land" hat die Architekturpublizistin Ute Woltron eine Antwort formuliert: "In einer idealen Zukunft erhält sich das Land seine natürlichen, wilden Teile, kultiviert seine Agrarzonen auf nachhaltige Art und Weise und verfügt über enge soziale Netzwerke, die nicht nur politisch gesteuert werden, sondern auch mithilfe einer aktiven und verantwortungsbewussten, weil bestausgebildeten Bevölkerung funktionieren."
Die Voraussetzungen für diese ideale Zukunft, so Woltron, sind gegeben, und auch an praktischen Lösungsvorschlägen fehlt es nicht, wie die umfangreiche Beispielsammlung in Sabine Pollacks Band veranschaulicht.
"Die Kirche im Dorf lassen"
Zum Thema "Wohnen und Bauen am Land" gibt es übrigens eine weitere neue Publikation. Die aktuelle Ausgabe des vom Springer Verlags herausgegebenen Magazins "kunst und kirche" mit dem Titel "Die Kirche im Dorf lassen" behandelt Zukunftsfragen des ländlichen Raums in Kunst und Architektur.
Service
Sabine Pollak (Hg.), "Die Freuden des Landlebens", Sonderzahl Verlag
Sonderzahl Verlag - Die Freuden des Landlebens
Springer Verlag - kunst und kirche