E. M. Cioran zum 100. Geburtstag

Skeptiker und Zweifler

Auch 16 Jahre nach seinem Tod in Paris wird der gebürtige Rumäne Emil Cioran, der den größten Teil seiner Schriften in französischer Sprache verfasste, als radikaler Denker bewundert und als scharfsinniger Aphoristiker und Essayist geschätzt. Zum 100. Geburtstag von Cioran gibt es im RadioKulturhaus in Wien einen Abend mit Film, Diskussion und Konzert.

Zu hören ist eine Komposition von Franz Koglmann: "Nächtliche Spaziergänge", eine Auftragsarbeit für die "Europäische Kulturhauptstadt 2007, Sibiu/Hermannstadt". Zu sehen sind Originalaufnahmen eines Interviews aus dem Film "Die Apokalypse nach Cioran" von Gabriel Liiceanu und Sorin Iliesiu und bei der anschließenden Diskussion wird unter anderem der Wiener Philosoph Peter Kampits auf dem Podium sitzen.

Kulturjournal, 07.04.2011

"Auf den Gipfeln der Verzweiflung", "Lehre vom Zerfall", "Syllogismen der Bitterkeit", "Vom Nachteil geboren zu sein" - die Werktitel künden von einem radikalen Weltverneiner. Und vielen gilt Cioran bis heute als negativer, aus der Welt gefallener Intellektueller, sagt der Wiener Philosophieprofessor Peter Kampits: "Das war er aber nicht. Ich hab ihn zweimal in Paris besucht, wir hatten längere Gespräche. Da hat sich gezeigt, dass er eigentlich sehr lebensbetonend und lebensbejahend war. Dieser Widerspruch zeichnet sein gesamtes Werk aus."

Aphorismen "wie ein Schlag"

Der Aphorismus war die literarische Form, in der der kompromisslose Denker weltanschauliche und religiöse Gewissheiten radikal in Frage gestellt hat. "Ein Aphorismus muss wie ein Schlag sein oder eine Ohrfeige", fand Cioran.

"In den Qualen des Intellekts findet sich eine Haltung, die man vergebens in denen des Herzens suchen würde. Die Skepsis ist die Eleganz der Angst", schrieb Cioran etwa in den "Syllogismen der Bitterkeit".

Inspiration für Franz Koglmann

Es war der große Skeptiker Cioran, der den Jazzmusiker und Komponisten Franz Koglmann beeindruckt hat: "Was für mich sehr wichtig war, war diese Skepsis und die Widersprüche." Für die "Europäische Kulturhauptstadt 2007, Sibiu/Hermannstadt" hat Franz Koglmann die Komposition "Nocturnal Walks"/"Nächtliche Spaziergänge" geschaffen. Die Ingredienzien: Joseph Haydns "Hermannstädter Symphonie" und Tonaufnahmen von Ciorans Stimme.

"Er vermittelt ja ein bisschen sowas Krank-Dekadentes, also zumindest nichts Gesundes", sagt Koglmann. "Ich finde, da gibt's auch eine gewisse Affinität zum Jazz, weil das, was ich als Höhepunkt der Jazz-Geschichte empfinde, nämlich Bebop und Cool Jazz, eigentlich eine Musik kranker Menschen war. Ich meine, Chet Baker war mit Sicherheit kein Jogger."

Braune Flecken

"Es gibt keinen Politiker in der heutigen Welt, der mir größere Sympathie einflößte als Hitler. (...) Seine Reden sind von einem Pathos und einer Raserei durchdrungen, wie nur die Visionen eines prophetischen Geistes sie erreichen können." "Über Deutschland" heißt ein Buch mit Aufsätzen von Cioran, das jetzt zum 100. Geburtstag im Suhrkamp Verlag erschienen ist; Aufsätze aus den Jahren von 1931 bis 1937.

Bis dato war lediglich bekannt, dass es braune Flecken in der Vergangenheit von Cioran gegeben hat, seine Sympathie für die faschistische, mystisch-religiöse und antisemitische Eiserne Garde in Rumänien.

"Man muss die Situation in Rumänien in der Zwischenkriegszeit, in der er ja aufgewachsen ist, mit bedenken", meint Peter Kampits. In Rumänien konnte man damals nicht von einer Demokratie sprechen, "das Ganze war eher eine Art von Königsdiktatur, gegen die er sich mit seinem Engagement für die Eiserne Garde aufgelehnt hat".

Textfassung: Ruth Halle

Service

cioran.eu