Briefe von Hannah Arendt und Joachim Fest

Eichmann war von empörender Dummheit

Alles begann mit einem Missverständnis: Als Hannah Arendt 1964 nach Deutschland kam, um ihren eben unter dem Titel "Eichmann in Jerusalem" veröffentlichten Bericht über den aufsehenerregenden Prozess gegen den einstigen SS-Obersturmbannführer vorzustellen, plante ihr Verleger Klaus Piper eine großangelegte Werbekampagne.

Er wollte der Flut von Angriffen und Anfeindungen begegnen, die schon der englischen Originalfassung entgegengeschlagen hatte. Denn Hannah Arendt, die selbst zur jüdischen Opfergruppe gehörte, jedoch in die Vereinigten Staaten entkommen war, machte erstmals auch auf die erzwungene Zusammenarbeit jüdischer Organisationen bei der Erfassung, Enteignung und Deportation aufmerksam und zeigte deutlich, dass Eichmanns Behörde, die innerhalb der SS für die Judendeportationen zuständig war, überall dort versagte, wo sie eine solche Zusammenarbeit nicht erzwingen konnte, wie in Dänemark, Bulgarien oder Italien.

Vor einem Radiointerview

Um Arendts Thesen sachgerecht zu vermitteln, sollte auch ein Radiointerview entstehen, das der Verleger Piper jedoch an den Historiker Joachim C. Fest delegierte, denn der junge Autor hatte mit seinen biografischen Studien zum inneren Führungskreis der Nationalsozialisten bereits ein hochgeschätztes Meisterwerk vorgelegt.

Während Fest die Autorin bei der Verteidigung ihrer Thesen unterstützen wollte, weigerte sich Hannah Arendt, sich überhaupt zu verteidigen, umso mehr, als ihr der undifferenzierte öffentliche Rummel um ihr Buch zutiefst zuwider war. Im Vorfeld schrieb Hannah Arendt im September 1964 an Joachim Fest:

An Stelle eines Interviews schlug Arendt ein Gespräch über jene Fragen vor, die sich aus ihren gemeinsamen Interessen ergaben, allen voran über die entscheidenden Frage nach der spezifischen Gestalt des Bösen im 20. Jahrhundert. Denn das eigentlich Verstörende in Arendts Bericht war die Einsicht in die fast lächerliche Mittelmäßigkeit der Person Eichmanns, die ganz und gar nicht zur monströsen Gestalt passen wollte, zu der ihn der Staatsanwalt gemacht hatte. Doch Joachim Fest hatte den Kern von Arendts Bericht bereits präzise erfasst:

Missverhältnis zwischen Täter und Tat

Angesichts der lebenslangen Durchschnittlichkeit Eichmanns zeigte sich, wie unangemessen die Vorstellung vom Bösen als etwas Abnormen eigentlich war. Denn weder Sadismus noch eine andere erkennbare Perversion vermochte Eichmanns ungeheuerliche Verbrechen zu erklären, wodurch sich ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem Täter und seiner Tat ergab.

Keine andere seiner Eigenschaften, sei es sein beflissener Eifer, sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Einordnung in eine Hierarchie oder sein Karrierismus, hätten unter anderen Umständen aus Eichmann etwas anderes als eine graue Maus gemacht. Während jedoch viele diese Beschreibung als Verharmlosung Eichmanns verkannten, sahen Hannah Arendt und Joachim Fest gerade darin das Erschreckende des NS-Phänomens: wenn unter totalitären Bedingungen normale Menschen zu Massenmörder werden, kommt dies einer ungeheuerlichen Erweiterung der Möglichkeiten des Bösen gleich.

Auch stellt dies eine neuartige Entwicklung dar. Das Totalitäre erzeugt eine verkehrte Welt, in der unsägliche Verbrechen zur Normalität werden, während Verantwortung und Anständigkeit außergewöhnliche Verhaltensweisen darstellen.

Frei von faulen Kompromissen

Mit ihrer zugleich scharfsinnigen und ernüchternden Analyse des Totalitarismus im Ausgang des Eichmann-Prozesses, der den eigentlichen Schwerpunkt von Arendts Bericht bildet, erwiesen sich Hannah Arendt und Joachim Fest schon damals als unabhängig und souverän in ihrem Umgang mit diesem schwierigen Thema - und sie bewegten sich fernab der lauwarmen Selbstverständlichkeiten der offiziösen deutschen Erinnerungskultur.

Weil beide die Folgen des Nationalsozialismus selbst erlebt hatten, waren sie in ihrem Urteil darüber vielleicht nicht immer frei von Irrtum, aber frei von faulen Kompromissen und falschen Rücksichtnahmen, die so oft den Blick auf die totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts verstellt hatten. Deshalb ist die Lektüre dieses schmalen Bandes - bei allen Unzulänglichkeiten, die man vom heutigen Stand der Forschung daran kritisieren könnte - jederzeit erhellend.

Schade nur, dass den Herausgebern bei der Zusammenstellung dieses Bandes allein der Nachlass Hannah Arendts zur Verfügung stand, weshalb etwa die zugleich witzige wie berührende Geschichte ihrer Freundschaft, die Joachim Fest in einem seiner Essays erzählt, daraus fehlt. Ansonsten enthält er eine ausgezeichnete Einleitung und einen umfangreichen Anhang, die überaus interessante und bisher nicht bekannte Einblicke in die Eichmann-Affäre ermöglichen.

Service

Hannah Arendt, Joachim Fest, "Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe", herausgegeben von Ursula Ludz und Thomas Wild, Piper Verlag

Piper - Eichmann war von empörender Dummheit
YouTube - Eichmann-Prozess