Bericht von Anatoly N. Tkachuk

Ich war im Sarkophag von Tschernobyl

Seit dem Unfall im japanischen AKW Fukushima im vergangenen März ist das Thema Atomkraft präsenter denn je. "Ich war im Sarkophag von Tschernobyl" heißt das Buch von Anatoly N. Tkachuk, der mit einem Team von vier Personen im Reaktor von Tschernobyl war und als Einziger überlebt hat.

Mit diesen Worten rechtfertigt Anatoly Tkachuk seine Entscheidung vor seiner schwangeren Frau, sich in Tschernobyl - ein Jahr nach dem AKW-Unfall - an den Aufräumarbeiten rund um den Reaktor zu beteiligen. Das Buch beginnt bereits mit der Zeit vor der AKW-Katastrophe, mit seiner Ausbildung, seinem Militärdienst und der Arbeit für den KGB. Er beschreibt den Job der etwa 600.000 Liquidatoren, die versucht haben, das Austreten von radioaktiver Strahlung einzudämmen und den Reaktor zu isolieren.

Am besten nicht hingehen

Tkachuk hat in Tschernobyl einen hohen Posten. Er ist für die Militärspionage-Abwehr tätig und für die Sicherheit der dort arbeitenden Truppen zuständig. Bevor der Russe seinen Dienst in Tschernobyl antritt, erkundigt er sich bei einem Physiker, wie er sich am besten vor den Strahlen schützen kann. Der begegnet ihm mit resignierter Ironie: Der beste Weg, sich vor der Strahlung in Tschernobyl zu schützen, sei nicht nach Tschernobyl zu gehen. Tkachuk berichtet vom Rat, bei dem Geruch von Ozon, das so ähnlich wie eine Ultraviolettlampe riecht, um sein Leben zu laufen.

Der Physiker bringt noch ein abschreckendes Beispiel aus der Natur. Ein großer Pinienwald, angesiedelt zwischen dem Kraftwerk und der Stadt Pripjat, ist jetzt ein toter Wald.

Notwendige Messungen

Anatoly Tkatchuk schildert das Erlebte in der dritten Person und nicht in der Ich-Form - um die notwendige Distanz zu schaffen, die es braucht, um solches Erleben und Überleben in Sprache zu fassen, begründet er. Anfangs irritierend, der Leser weiß ja, dass es sich um Tkachuks persönliche Geschichte handelt.

In Tschernobyl sucht Tkachuk nach der Ursache für die Katastrophe. Sabotage, menschliches Versagen oder eine unglückliche Verkettung von vielen kleinen Fehlern? Er recherchiert in Konstruktionsplänen, Dokumenten, Protokollen und findet Material zu Standards und Qualitätsanforderungen, die noch aus der Bauphase des AKWs stammen. Der Reaktor ist eine tickende Zeitbombe. Tkachuk entscheidet sich, mit einem Team von vier Leuten in den Sarkophag zu gehen, um aktuelle Messungen über den Zustand zu liefern. Bis zur letzten Minute hadert er mit seiner Entscheidung und hofft insgeheim, dass es doch noch "Kommando retour" heißt.

"Symbolische" Schutzanzüge

Beklemmend ist das Kapitel, in dem der Autor die Minuten im Labyrinth des staubigen, dunklen und feuchten Sarkophags schildert. Die Armee-Chemie-Schutzanzüge, schreibt er, waren eher von symbolischem Wert. Gegen eine so starke Gamma-Strahlung schirmen nur meterdicke Bleiplatten ab.

Die Erzählung liest sich teilweise etwas holprig, nicht wie ein Sachbuch, eher wie ein Krimi. Anatoly Tkachuk schildert sehr persönlich die Innenansicht - die von Tschernobyl und die seiner Gefühlswelt. Er beschreibt die furchtbare Erfahrung sehr pathetisch, vor allem wenn es um seine Heimat Russland und die Zukunft der Menschen geht. Und so resümiert er: "Vielleicht ist es das, was die russische Seele ausmacht - manchmal sind wir eine gedankenlos tapfere Nation."

Service

Anatoly N. Tkachuk, "Ich war im Sarkophag von Tschernobyl. Der Bericht eines Überlebenden", übersetzt und bearbeitet von Reinhard Deutsch, Styria premium

Styria premium - Ich war im Sarkophag von Tschernobyl