Lieber schön als schlau?
Living Dolls
Eigentlich, sagt Natasha Walter, hat sie nichts gegen die Farbe Rosa. Sie trage selber Rosa. Früher hat auch ihre Tochter die Farbe gemocht, doch mittlerweile nicht mehr. Was die Autorin jedoch stört, sind die unerbittlichen Stereotype, dass Rosa nur etwas für Mädchen sei. Warum sollte nicht ein Mann ein rosafarbenes Kleidungsstück tragen oder warum sollte ein Bub nicht mit rosa Spielzeug spielen?
27. April 2017, 15:40
Rosa für kleine Mädchen und Hellblau für kleine Buben. Diese geschlechtsspezifische Farbpalette ist an sich nicht neu. Doch Natasha Walter, eine der prominentesten Feministinnen Großbritanniens, ortete nicht nur ein Fortbestehen der alten Klischees, sondern einen beunruhigenden Vormarsch - einen wahren Terror von Rosa und Glitter in der Welt von Mädchen, die ihnen suggeriert, dass sie nicht nur mit Puppen spielen, sondern auch wie eine aussehen sollen.
"Es ist schlimmer geworden", findet Natasha Walter. "Die Klischees haben sich verhärtet. Wir haben uns auf die alten Stereotype zurückgezogen. Ich wuchs in den 1960er und 70er Jahren auf, und das war eine freiere Welt als die meiner jetzt zehnjährigen Tochter. Damals wurde erwartet, dass Mädchen und Buben die Fronten wechseln und beispielsweise Spielzeug austauschen. Doch jetzt gelten wieder die traditionellen Erwartungen, und das schürt einen zunehmenden Sexismus."
Verfrühter Optimismus
"Living Dolls" dokumentiert in zwei Teilen, warum - wie es im Untertitel heißt - junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen. Teil eins befasst sich mit der Übersexualisierung, Teil zwei mit einer Neuauflage von biologischem Determinismus. In gewisser Weise, gesteht die Autorin, ist "Living Dolls" eine Revidierung ihres früheren, sehr populären Buches "The New Feminism" aus dem Jahr 1999:
"Grundsätzlich war das ein optimistisches Buch. Über die letzten Jahre habe ich viel nachgedacht. Damals glaubten wir, dass die Gleichheit greifbar war. Doch wo ist sie? Wo ist die Gleichheit, von der ich geglaubt habe, dass sie fast schon erreicht ist? Was ist passiert? Warum sind noch immer so wenige Frauen im Parlament; warum klaffen die Einkommen auseinander; warum machen Frauen den Großteil der Hausarbeit; warum sind die Erwartungen, wie Frauen aussehen und was sie anziehen sollen, so eingeschränkt? Mir ist klar geworden: Es war ein Fehler, dass ich vor zwölf Jahren so optimistisch war."
Die Frustration, dass sich die Hoffnungen der 1960er und 70er Jahre nur bedingt erfüllt haben, war also ein wichtiger Anstoß für das neue Buch. Ein anderer war die spontane Reaktion einer jungen Leserin auf einen Artikel von Natasha Walter in der Tageszeitung "The Guardian". Das zeigte ihr schließlich, dass sie mit ihren Überlegungen auf dem richtigen Weg war.
"Ich hatte gerade im 'Guardian' einen Artikel über die Softporno-Männermagazine geschrieben", erzählt Walter. "Und ein Teenager schickte mir eine E-Mail. Sie schrieb: Gott sei Dank sagt endlich jemand, dass man Pornografie im Mainstream nicht mögen muss. Sie hat schon gedacht, sie ist die einzige, der es nicht gefällt, als Sexualobjekt dargestellt zu werden. Das hat mir die Augen geöffnet. Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein, dass heutzutage eine junge Frau glaubt, sie sei die einzige, die so denkt und empfindet."
Soft-pornografische "Glamour-Model"-Bewerbe
Der Vormarsch von Pornografie habe viele Facetten, so die Autorin. Diese näher zu betrachten, ist ihr nicht immer leicht gefallen. Sie beschreibt beispielsweise einen sogenannten Glamour-Model-Bewerb mit dem Titel "Babes in the Bed". Er fand in der Londoner Bar Mayhem statt und wurde vom Softporno-Magazin "Nuts" veranstaltet. In der Bar stand ein riesiges Bett, auf dem sich die Frauen sozusagen in Szene setzen sollten. Der Siegerin winkte ein Model-Vertrag mit "Nuts".
Zitat
Das Gedränge um mich wurde immer heftiger, während ein Mädchen nach dem anderen zu ständig wummernder Musik das Bett bestieg. Cara dirigierte sie in immer anzüglichere Posen. "Geh doch mal auf alle viere!" "Zeig uns deinen Arsch in der Luft!" Man hätte meinen sollen, es wäre schwierig, junge Frauen dazu zu bewegen, in diesem hell erleuchteten Club vor einer Horde johlender, betrunkener junger Männer unverhohlen sexuelle Posen einzunehmen, doch die Mädchen wussten offenbar ganz genau, was von ihnen erwartet wurde. Wenn sie doch zu sehr zögerten, legte sich Cara ins Zeug und spornte sie genüsslich an. "Runter mit dem Ding", drängte sie ungeduldig. "Wenn du gewinnen willst, musst du Haut zeigen." Ein molliges Mädchen in malvenfarbenem BH und Höschen gehörte zu den ersten, die ihren BH abstreiften und ihre Brüste vor den Kameras schwenkten.
Das Gehopse auf dem Bett für einen Model-Vertrag fällt zweifellos in die anrüchige Kategorie. Doch Natasha Walter kritisiert auch andere Bewerbe wie etwa die in den USA, sowie in Europa zur Hauptsendezeit im Fernsehen ausgestrahlten Reality-Shows über die Suche nach dem nächsten Supermodel. Beide Formate leben von der Sexualisierung und suggerierten Mädchen beziehungsweise sehr jungen Frauen, dass Aussehen und Sexy-Sein wichtiger seien als Bildung und Köpfchen.
Abstruse Studien
"In den 1960er und 70er Jahren hat man geglaubt, dass die sexuelle Revolution die ganze Gesellschaft befreien würde", sagt Walter. "Es herrschte ein wundervoller Optimismus, was das alles bedeuten würde, wenn Männer und Frauen sich von den puritanischen Fesseln befreien. Vorbei mit Dingen wie kein Sex bis zur Ehe. Wir wollen sicher nicht die Uhr zurückdrehen. Wir wollen keinen neuen Puritanismus und Keuschheitszwang für Frauen. Doch es ist leider Folgendes passiert: Die Ideale der sexuellen Revolution sind von der kapitalistischen Gesellschaft aufgenommen und uns mit der Botschaft zurückverkauft worden: Frauen müssen das perfekte Sexualobjekt sein."
Die Übersexualisierung ist ein wesentlicher Kritikpunkt der Feministin. Der andere ist die Rückkehr und moderne, pseudowissenschaftliche Verpackung von biologischem Determinismus. Natasha Walter führt zwei Beispiele an:
"Diese Studien sind lachhaft und oft falsch. Eine besagt, dass Frauen sehr viel mehr und schneller reden als Männer. Das stimmt überhaupt nicht. Laut einer anderen Studie sind Frauen mitfühlender als Männer. Mitgefühl ist ja an sich eine gute Sache. Doch diese Studien sind wirklich schwach argumentiert. Und wenn man die Botschaft ausschickt, dass Frauen mehr Mitgefühl haben, teilt man damit den Männern mit, dass sie weniger gut geeignet sind, für jemanden zu sorgen."
Seriös verbrämt
Dass Frauen angeblich das sanftere, mitfühlendere Geschlecht sein sollen und daher für die berühmten drei Ks - Kinder, Küche, Kirche - wie geschaffen sind, ist an sich ein alter Hut. Doch dieser kommt nun mit angeblich seriöser Verbrämung durch Daten über etwa Hormone und Analysen von Hirnvorgängen mit bildgebenden Methoden. Auf den Lebenshilfeseiten der Boulevardpresse werden Ergebnisse, die oft nur auf wenigen Testpersonen beruhen, gerne also neue, wichtige Erkenntnisse dargestellt.
Der Zweck des Buches "Living Dolls" ist für Natasha Walter, Frauen über diese Trends die Augen zu öffnen und sie wachzurütteln, etwas, das Feministinnen schon viel früher hätten tun sollen, gesteht sie ein. Doch die Zukunft sieht sie dennoch nicht ganz so schwarz. Denn bei ihren Recherchen entdeckte sie auch positive Beispiele. So erzählt sie beispielsweise von einer Initiative zweier englischer Mütter. Diese gründeten ihre eigene Internetseite mit dem klingenden Titel: Pink Stinks.
"Eine hat zwei Töchter und die andere zwei Söhne", so Walter. "Sie waren über dieses rosa und hellblaue Schachteldenken empört. Auf ihrer Internetseite stellen sie immer rosa-hellblaue Absurditäten vor: Zum Beispiel gibt es in ihrer Nähe ein Spielwarengeschäft, wo man einen rosa Globus für ein Mädchen oder einen hellblauen für einen Buben kaufen kann. Aber sie haben auch ernstere Anliegen: Sie setzen sich für bessere Vorbilder für Mädchen ein; und sie argumentieren gegen Makeup für ganz kleine Mädchen."
Service
Natasha Walter, "Living Dolls. Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen", aus dem Englischen übersetzt von Gabriele Herbst, Krüger Verlag
Pink stinks
Fischer Verlage - Living Dolls