Shigeru Ban und der Wiederaufbau Japans

Häuser aus Papier

Shigeru Ban gehört zu den international renommiertesten Architekten. Er errichtete den berühmten EXPO-Pavillon in Hannover, die Filiale des Centre Pompidou in Metz, außerdem Kirchen und zahlreiche Privathäuser, die die japanische Tradition radikal zeitgenössisch interpretieren.

Seit einigen Jahren arbeitet er auch völlig selbstlos mit wechselnden Teams in internationalen Katastrophengebieten, um als Architekt den Not leidenden Menschen zu helfen. Jetzt errichtet er mit seinem Team im Norden Japans temporäre Konstruktionen, um das Elend der evakuierten Menschen zu lindern.

Kulturjournal, 21.04.2011

Soziale Verantwortung der Architekten

"Erdbeben sind eine Naturkatastrophe", sagt Shigeru Ban. "Doch Erdbeben allein tötet keine Menschen, nur durch Menschen bedingte Ursachen wird es zur Katastrophe. Hier ist die Verantwortung der Architekten gefragt."

Der japanische Architekt Shigeru Ban muss eingestehen, dass es um die soziale Verantwortung seiner Berufskollegen nicht gerade bestens bestellt ist. Sie kümmern sich hauptsächlich darum, lukrative Aufträge von reichen Bauherren und mächtigen Developern zu ergattern. Natürlich macht das Shigeru Ban auch, aber das ist nicht alles:

"Es langweilte mich, immer nur für Reiche zu arbeiten. Stattdessen dachte ich darüber nach, was ich als Architekt für die Gesellschaft erreichen kann. Deshalb entschied ich mich, in Katastrophengebieten zu arbeiten. Zwar errichte ich nach wie vor Gebäude, aber ich strebe eine Balance an zwischen den Aufträgen für Reiche und meinem Einsatz für Menschen, denen eine tägliche Behausung fehlt."

Arbeiten in Katastrophengebieten

Shigeru Ban ist zweifellos der bekannteste weltweit tätige Architekt, der regelmäßig in Katastrophengebieten arbeitet. Während seine Kollegen in internationalen Metropolen ihre neuesten Bürotürme hochziehen, stellt Ban derzeit sein technisches Wissen den obdachlos gewordenen Menschen im japanischen Nordosten zur Verfügung.

Zu seiner Berufung fand Shigeru Ban bereits 1995, als im afrikanischen Ruanda das Massenschlachten zwischen den Hutu und Tutsi begann. Der japanische Architekt fand damals im UN-Flüchtlingswerk einen bereitwilligen Sponsor, der ihm half, Notunterkünfte aus Pappröhren für zwei Millionen Flüchtlinge zu errichten. Damals gründete Ban das Voluntary Architects' Network, um Architekten möglichst schnell in den Katastrophengebieten einsetzen zu können.

Als wenig später im japanischen Kobe 5.000 Menschen durch die Folgen eines Erdbebens starben, sammelte Shigeru Ban wichtige Erfahrungen, auf die er heute zurückgreifen kann: Er nutzte preiswerte Materialien, baute einfache Konstruktionen, wählte Behausungen, in denen sich die Menschen wohl fühlen und bot ihnen Raum zum persönlichen Rückzug an. Oft reichten einfache Bierkästen aus, um den Häusern ein stabiles Fundament zu verschaffen. Viele derartige Papierhäuser stehen noch heute, beispielsweise die schöne Kirche, die Ban vor 15 Jahren in Kobe errichtete.

Abtrennungen in temporären Unterkünften

Natürlich reiste Shigeru Ban 2008 auch ins chinesische Sichuan, 2009 ins italienische L'Aquila und 2010 nach Haiti, um den Erdbebenopfern schnell und wirksam helfen zu können. Erst kürzlich reiste Shigeru Ban, nachdem er seine Projekte in Barcelona vorgestellt hatte, zurück in seine krisengeschüttelte Heimat:

"Die Menschen in Japan verloren ihre Häuser und wurden evakuiert", sagt Ban. "Sie mussten in große Turnhallen gehen, wo sie monatelang bleiben müssen, bis man ihnen temporäre Unterkünfte anbieten kann. Da es in diesen Hallen keine Wände gibt, werden die Menschen psychisch krank. Deswegen werde ich jetzt Abtrennungen aufrichten."

Shigeru Ban und sein Team vom Desaster Relief Project errichten derzeit diese Paravents, damit die Hilfsbedürftigen dort so etwas wie einen intimen Bereich haben können. "Hinter diesen Abtrennungen fühlt man sich wesentlich behaglicher. In Japan kommen jetzt recht einfache Mittel zum Einsatz: Papierröhren, Holzverbindungen und vorgefertigte Wände. Dieses System kann jeder spielend aufbauen, man kann es nach Bedarf öffnen oder schließen, und es lässt sich leicht abbauen und recyceln. Damit sind wir gerade beschäftigt. Ich bin sehr froh, dass wir bereits zahllose Spenden bekommen haben."

Papierröhren und Leinwände

Wegen der großen Notlage hat sich Ban jetzt dazu entschieden, ein einfacheres System anzuwenden, das schneller aufzubauen ist. Es sind individuelle Schutzräume aus Papierröhren und Leinwänden. Damit wird die große Not fürs Erste gelindert. Erst nach Abschluss der aufwendigen Aufräumarbeiten an der Küste kann er damit beginnen, temporäre Papierhäuser zu bauen.

Shigeru Ban, der in Deutschland für seinen Aufsehen erregenden EXPO-Pavillon in Hannover berühmt wurde, setzt auf die jungen Architekten, die sein Desaster Relief Project unterstützen. Eine New Yorker MoMA-Ausstellung hat kürzlich für Bans Projekt das geeignete Stichwort geliefert: "New Architectures of Social Engagement". Glaubt man Shigeru Ban, dann haben diese jungen Architekten das eitle Starsystem verabschiedet und stehen zu ihrer sozialen Verantwortung: "Wir erleben einen Wandel. Sie arbeiten für die Gesellschaft, nicht für die Reichen. Diese große Energie spürt man überall."

Service

Shigeru Ban