Protest gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse

MayDay-Parade in Wien

Die erste MayDay-Demonstration fand 2001 in Mailand statt. "MayDay" wird sie genannt, weil sie am 1. Mai stattfindet. Es ist keine Demonstration im klassischen Sinn, wie sie die Gewerkschaften organisieren, es ist eher eine Straßenparade mit Musik und geschmückten Lastwagen, an der jeder teilnehmen kann.

Die "San Precario Connection"

"Oh Heiliger Prekario! Beschützer unser, der Prekären dieser Erde. Verhilf uns zu bezahltem Urlaub, Mutterschutz und Krankenstand, zu Arbeitslosengeld, Pensionsbeiträgen und Mindestlohn. Erlöse uns von Scheinselbstständigkeit, von Leih- und Zeitarbeit. Schütze uns vor unsicheren Existenzen als undokumentiert Arbeitende und arbeitende Arme. Mayday!".

So beginnt ein Gebet, mit dem "San Precario" angerufen wird, der Schutzpatron aller Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen. Im Februar 2004 erschien er erstmals in Italien, wo er seitdem viel von sich reden machte. Als Ikone hat er zahlreiche Proteste der "postsozialistischen Generation" begleitet. Als gefürchteter Aktionskünstler trat er in Vorstadt-Supermärkten ebenso in Erscheinung wie bei der Mailänder "Fashion Week" oder dem Filmfestival von Venedig.

Alessandro Delfanti, Veterinärmediziner und Wissenschaftsjournalist aus Mailand, ist der Begründer der Organisation "Intelligence Precaria" auch "San Precario Connection" genannt: "Er ist ein erfundener Heiliger, der Schutzpatron der prekär Beschäftigten. Wir haben ihn unter die Leute gebracht wie ein 'mediales Virus'. Die Heiligenbildchen des San Precario haben sich im ganzen Land verbreitet. Er ist ein leicht verständliches Sinnbild, die Leute lieben und erkennen ihn – und auch in den Medien wird über ihn gesprochen. Sogar ein Fußballclub nennt sich "San Precario". Er ist eine Ikone mit großer Strahlkraft."

Verbünde dich!

Der heilige Precario habe geholfen, das Bewusstsein für ungesicherte und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in Italien zu schärfen, meint Alessandro Delfanti. Der Begriff "Prekariat" wurde durch ihn überhaupt erst im italienischen Sprachgebrauch verankert: "Es ist ein Zustand, der mit einem Verlust an Rechten einhergeht, mit neuen Arbeitsverträgen, die jene Rechte, die unsere Eltern und Großeltern erkämpft haben, wieder ausgehebelt haben. In Italien gibt es etwa 50 unterschiedliche Arten solcher Verträge - Scheinselbstständigkeit, Teilzeit- und Zeitarbeit sind nur einige Beispiele. Davon betroffen sind mehrere Millionen Menschen."

"Hilf dir selbst und verbünde dich mit deinen ebenfalls prekär arbeitenden Brüdern und Schwestern", lautet die Botschaft des Heiligen Precario an seine Schutzbefohlenen.

Die EuroMayDay-Parade

Gegen all jene Beschäftigungsmodelle zu protestieren, durch welche Arbeitsrecht mehr oder weniger subtil unterlaufen wird, ist auch Anliegen der "EuroMayDay-Parade". Am 1. Mai 2001 wurde sie in Mailand ins Leben gerufen uns hat sich seitdem auf zahlreiche Städte Europas und der Welt ausgedehnt. Nach zweijähriger Pause findet sie am Sonntag, dem 1. Mai 2011, dem "Tag der Arbeit", auch in Wien wieder statt. Ab 14:00 Uhr kann sich auf dem Wallensteinplatz einfinden, wer "der Entsicherung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse" den Kampf ansagen will. Immerhin zählen in Österreich 350.000 Menschen zu den "working poor", den "Armen trotz Arbeit", die mit ihrem Einkommen nicht auskommen.

"Wesentlich ist, dass der Begriff Prekariat nicht nur ein Arbeitsverhältnis bezeichnet, sondern eine ganze Lebensform", sagt Delfanti. "Es ist ein existenzieller Zustand, der die Betroffenen daran hindert, sesshaft zu werden oder eine Familie zu gründen. Das Prekäre dehnt sich auf alle Lebensbereiche aus."

Zurück zu sozialer Absicherung

Was im Dienstleistungssektor begonnen habe, erfasse heute mehr und mehr – und immer unterschiedlichere Dienstnehmer, so Delfanti. Neben "Kommunikations-, Wissens- und Kulturarbeitern" seien in Europa zunehmend auch Industriearbeiter und Handwerker von der Prekarisierung betroffen. Die "Mayday"-Paraden könnten ein erster Schritt sein, die Leidtragenden des Neoliberalismus zu vereinigen. Und über adäquate Formen des Arbeitskampfs nachzudenken.

Ein Zurück zu lebenslangen Festanstellungen und klassischen Erwerbsbiografien ist dabei nicht das Ziel, aber berufliche Flexibilität und soziale Absicherung müssen möglich sein. "Wir denken, dass wir eine neue Art des Wohlfahrtsstaates brauchen", meint Delfanti, "eine, die die Menschen zwischen einem Arbeitsvertrag und dem nächsten unterstützt. Nicht nur aus Gründen der Würde, sondern auch als demokratische Forderung. Denn das würde die prekär Arbeitenden ermächtigen zu protestieren, zu streiken und ihre Lage zu verbessern. Sie könnten etwas riskieren – ohne alles zu riskieren."