Dokumentarfilm von Frederick Wiseman

Manuel Legris in "La Danse"

"La Danse" ist ein Dokumentarfilm über die Balletkompagnie der Pariser Oper, als sie noch von Gerard Mortier geleitet wurde und Legris dort als Etoile, als Stern, als Star wirkte. Der Film, der Ende der Woche in die Kinos kommt, stammt von dem betagten Amerikaner Frederick Wiseman.

Seine Filme sind Epen und selten unter drei Stunden lang. In "La Danse" bewegt sich der 81-Jährige mit seiner Kamera vor allem hinter den Kulissen von Oper und Ballett. Wolfgang Popp über einen erstaunlichen Film und den wahrscheinlich geduldigsten Filmemacher der Welt.

Kulturjournal, 27.04.2011

Der Amerikaner Frederick Wiseman zählt zu den wichtigsten Dokumentarfilmern weltweit. Seine Filme sind Epen und selten unter drei Stunden lang. Jugendstrafgerichte und Sozialämter, Tiergärten und Theater, es gibt kaum Institutionen, die der mittlerweile 81-jährige Wiseman noch nicht mit seiner Filmkamera besucht hätte. In seinem bereits 38. Film hat Wiseman Zugang zu einem der Heiligtümer der französischen Hochkultur bekommen. In "La Danse" beobachtet er nämlich das Ballett der Pariser Oper und zwar vor und noch mehr hinter den Kulissen.

Hinter den Kulissen

Neun Wochen hat Frederick Wiseman mit seinem Team im altehrwürdigen Palais Garnier verbracht. Natürlich hat er Aufführungen im großen Opernsaal beigewohnt mit seinen 2.200 Sitzen aus rotem Samt und dem Deckengemälde von Marc Chagall. Viel wichtiger war aber die Zeit hinter den Kulissen bei den aufreibenden Probearbeiten.

Dabei macht Wiseman aber nicht halt. Er stößt auch vor zu den Nebenschauplätzen, in die Kostümbildnerei oder in die Kantinenküche. Auf einem seiner Streifzüge durch das Gebäude entdeckt er auf dem Dach sogar einen Imker, der dort seine Bienenstöcke aufgestellt hat. Frederick Wiseman: "Eine Institution bietet mir Zugang zu einer Vielzahl von Menschen. Gleichzeitig gibt sie mir eine Grenze vor. Es ist wie bei einem Tennisplatz mit seinem Netz und seinen Linien. Was auf dem Platz stattfindet, kommt in den Film, was außerhalb stattfindet nicht."

Respekt vor den Lehrern

Körper im Ausnahmezustand stehen im Zentrum des Films. Die Tänzer sind in Choreografien von Rudolf Nurejew, Sasha Waltz und Pina Bausch zu sehen. Auffallend sind der Respekt und die absolute Hörigkeit, mit denen die Tänzer ihren Lehrern folgen. Die Hierarchien und Machtstrukturen, die hier sichtbar werden, meint Wiseman, erzählen nicht nur etwas über die Oper, sondern auch etwas über die französische Gesellschaft im Allgemeinen.

Bei alldem bleibt Wiseman aber stiller Beobachter. Wie immer verzichtet er in seinem Film auf jegliche Kommentare, ja sogar auf Interviews. Beim Dreh selbst zwingt er sich zu äußerster Zurückhaltung. "Ich inszeniere nie eine Szene und mache den Menschen vor der Kamera auch keine Vorschläge", sagt Frederick Wiseman. "Grundsätzlich möchte ich Zugang zu allem haben, was an diesem Ort vor sich geht. Wenn sich jemand nicht filmen lassen möchte, respektiere ich das natürlich, aber sobald etwas im Kasten ist, gibt es keine Einspruchsmöglichkeit mehr. Die Entscheidung, was im Film zu sehen ist, liegt dann ausschließlich bei mir."

Ohne Scheuklappen

Dieser Entscheidungsfindungsprozess ist aber äußerst zeitintensiv. Ein Jahr lang arbeitet Wiseman im Durchschnitt am Schnitt seiner Filme. Bei "La Danse" waren es 150 Stunden Rohmaterial, aus denen schließlich zweidreiviertel Stunden fertiger Film wurden. Zuerst gestaltet Wiseman nur einzelne Sequenzen, erst anschließend macht er sich daran, über die Gesamtstruktur des Filmes nachzudenken.

Er versuche jedem seiner Themen ohne ideologische Scheuklappen zu begegnen, meint Wiseman. Es gehe ihm nämlich nicht darum, mit seinen Filmen vorgefasste Theorien zu beweisen, sondern auf das, was vor Ort geschieht, zu reagieren.

Konzentration auf einzelne Institutionen

Eigentlich hat Wiseman ja Jus studiert und erst mit knapp 40 seinen ersten Film gedreht. "Titicut Follies" war das unverblümte Porträt einer Anstalt für abnorme Rechtsbrecher. Mehr als 40 Jahre und 37 Filme später - über Polzeikommissariate und High Schools, über den sozialen Wohnbau und häusliche Gewalt - kann Wiseman jetzt mit seinem Oeuvre nicht weniger als ein Porträt der Gegenwart vorlegen.

Wo es ging, hat Wiseman sich dabei immer auf einzelne Institutionen konzentriert: "Als ich meinen Film über Sozialhilfe machte, drehte ich auf einem Sozialamt. Ich hätte auch auf mehreren Sozialämtern oder in den Wohnungen der Sozialhilfeempfänger filmen können, da gibt es ja eine Menge Möglichkeiten. Indem ich mich aber auf ein Sozialamt konzentriere, schränke ich das Risiko ein, dass mein Film oberflächlich wird. Bleibt man nämlich an einem Ort, sorgt das für eine ungeheure Dichte, weil man mit der Zeit die Komplexität der Beziehungen zwischen den Menschen mitbekommt. Dadurch nimmt die Möglichkeit zu, tief in die Welt des jeweiligen Ortes einzudringen."

Der nimmermüde 81-Jährige hat mittlerweile bereits seinen nächsten Film abgeschlossen. Statt getanzt wird hier aber nur mehr getänzelt. In "Boxing Gym" zeigt Frederick Wiseman nämlich den Alltag einer Boxschule.

Service

IMDb - La danse