Kathrin Röggla im Porträt
Chronistin der Gegenwart
Die Bezeichnungen, die man ihr gibt, sind widersprüchlich: junge Berliner Autorin. Österreicherin. Pop-Literatin. Chronistin der Gegenwart. Unbestritten ist Kathrin Röggla, geboren 1971 in Salzburg, eine der produktivsten Autorinnen ihrer Generation.
8. April 2017, 21:58
Ein Dutzend Bücher, ebenso viele Theaterstücke, an die zwanzig Hörspiele und etliche Literaturpreise. Kathrin Röggla ist eine der produktivsten Autorinnen ihrer Generation.
1994 wird eine größere literarisch interessierte Öffentlichkeit auf die junge Kathrin Röggla erstmals aufmerksam. Die damals erst 23-Jährige liest beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb - heute unten dem Namen "Tage der deutschsprachigen Literatur" bekannt. Wie jedes Jahr geben sich Vertreter großer Verlage, Buchhändler und Kritiker im ORF-Landesstudio Kärnten ein Stelldichein. Wer hier ist, hofft insgeheim darauf, eine literarische Neuentdeckung zu machen, will Talente finden, aus denen die Stars von morgen werden. Dass die jüngste Teilnehmerin des Wettbewerbs, Kathrin Röggla, ein Talent ist, darüber ist sich das anwesende Publikum bald einig.
Kein "Fräuleinwunder"
Das Marketinglabel "Fräuleinwunder", das schon wenige Jahre später durch die Medien geistern und so mancher jungen Autorenkollegin Kathrin Rögglas zu schnellem literarischen Ruhm verhelfen wird, ist 1994 noch nicht erfunden. Eher gönnerhaft urteilt die Jury des Bachmannwettbewerbs über die jugendliche Nachwuchsautorin Kathrin Röggla. Der Tenor: Sie sei eine Begabung, die aber noch reifen müsse.
Von Anfang an ist es Kathrin Rögglas Umgang mit der Sprache, der fasziniert. In der Tradition der sprachkritischen literarischen Avantgarde macht Röggla die Sprache selbst zum eigentlichen Thema ihrer Texte. Wie bei ihrem literarischen Vorbild Elfriede Jelinek wird man in Rögglas Texten keinen nacherzählbaren Plot, keine psychologischen Entwürfe von Figuren finden. Eine ästhetische Strategie, die auf einer sprachphilosophischen Erkenntnis der Moderne fußt. Der Erkenntnis nämlich, dass wir nicht mit der Sprache sprechen, sondern vielmehr von ihr gesprochen werden.
In Zeiten, in denen das deutschsprachige Feuilleton die Rückkehr des Erzählens emphatisch verkündet, bleibt Kathrin Röggla experimentellen Verfahren verspflichtet, arbeitet mit der Sprache als Material. Damit liegt Röggla nicht unbedingt im Trend: Auf den Bestsellerlisten dominieren Familien- und Mehrgenerationenromane, die nach dem Muster angloamerikanischer Erfolgsautoren wie Philipp Roth gestrickt sind - Anlass für manchen Kritiker, sich darüber zu freuen, dass die Literatur sich von neoavantgardistischen Experimenten endlich verabschiedet hat und wieder aufs Erzählen vertraut. Ist Kathrin Röggla also eine literarische Außenseiterin? Eher eine Ausnahmeerscheinung.
Die Arbeit am Sprachmaterial
Kathrin Rögglas Figuren verlieren sich in einer Sprache, die nicht zuletzt von medialen Diskursen ver- und überformt ist, schrauben sich in oft hysterische Sprachexzesse hinein, setzen Sprachmasken auf, hinter denen sie bis zur Unkenntlichkeit verschwinden. Vor allem in den letzten Jahren hat Röggla das Stilmittel der indirekten Rede in ihren Texten entdeckt. Bei der Lektüre dieser Texte entsteht manchmal der Eindruck, als würden Kathrin Rögglas Figuren darum ringen, endlich wieder "Ich" sagen zu können. Wer spricht hier eigentlich?
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wir hätten es hier nicht nur mit gewaltigen aufmerksamkeitsdefiziten zu tun - die kinder hörten im unterricht nicht mehr zu - , wir hätten auch mit einem massiven auftreten psychosomatischer störungen zu kämpfen. Ob mir klar sei, dass mit diesen konzentrationsschwierigkeiten anfälligkeiten für heuschnupfen und asthma einhergingen?
Das schreibt Kathrin Röggla in ihrem zuletzt erschienenen Prosaband "die alarmbereiten", der sich den Katastrophenerzählungen der Gegenwart widmet. Vom ökologischen Kollaps bis zur Finanz- und Bildungskrise geistern potenzielle Katastrophen durch den Blätter- und Medienwald, denn die Logik der medialen Aufmerksamkeitsökonomie verlangt nach Superlativen, besser noch nach Weltuntergangsszenarien. Sie machen schließlich Auflage. Rögglas Befund: Eine unaufhörlich alarmierte Gesellschaft steht erstarrt wie das Kaninchen vor der Schlange und... handelt nicht.
Das Ende des politischen Handelns ist schon in Kathrin Rögglas frühem Berlin-Roman "Irres Wetter", erschienen im Jahr 2000, ein zumindest leise anklingendes Thema. In "Irres Wetter" vereint Röggla Prosasplitter, die in die junge Berliner Republik entführen: ins hippe Berlin Mitte, in den mittlerweile viel zitierten kinderreichsten Bezirk Europas, Prenzlauer Berg, und in die einstige Hochburg der Alternativszene, Kreuzberg.
Das Ende des Politischen
Schlaglichtartig beleuchtet Kathrin Röggla den Lebensstil einer neuen Generation, für die circa im Jahr 2000 der Begriff bourgeoise Boheme erfunden worden ist. Eine Generation, die nicht nur in Modefragen auf den eklektischen Mix setzt und ehemals politische aufgeladene Symbole als Accessoire und also Konsumartikel entdeckt. Trotz zahlreicher popkultureller Referenzen und einer guten Portion Generationen-Befindlichkeit wird "Irres Wetter" von der Kritik nicht mit dem Label "Popliteratur" versehen, das in jenen Jahren im deutschsprachigen Feuilleton gehypet wird. Aus gutem Grund, wie der Berliner Kritiker und Autor Helmut Böttiger meint:
"Es gab ja diese Hochzeit einer Popliteratur so um das Jahr 2000 und die zeichnete sich durch eine recht affirmative Haltung zu Konsum, zu Marken, zu Moden aus, und meiner Meinung nach war das tatsächlich vor allem ein Ausdruck einer doch sehr wohlhabenden Generation bzw. die Kinder der wohlhabenden, die nur noch im Konsum eine Form von Individualität für sich darstellen konnten. Das ist bei Kathrin Röggla vor allem Spielmaterial. Die Affirmation der Popkultur wird bei Kathrin Röggla zu einer Art hysterischen Affirmation und in diesem hysterischen Übertreiben dieses Konsumfetischismus blitzte da so etwas auf, was man früher Gesellschaftskritik genannt hatte."
Die Kinder der Wohlstandsgesellschaft
Die Kinder der Wohlstandgesellschaft also entfliehen den langweiligen Vororten bundesdeutscher Spießigkeit, fasziniert vom Ruinenchic der ehemaligen DDR-Hauptstadt. Der wilde Osten schafft neue Freiräume und verspricht Selbstverwirklichung. Kathrin Röggla in "Irres Wetter":
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hat einer seinen privatosten aufgemacht, so ca. zwanzig kilometer südlich von luckenwalde bei jüterbog. Und so ein privatosten, das ist zunächst mal ein alter hof, das sind sie, diese scheunen-ateliers in adidas, und hier setzen sie auch schon ihren elektronischen minimalismus um in kunst.
Von Popliteratur-Shootingstars wie Benjamin Stuckrad-Barre unterscheiden sich Kathrin Rögglas Texte nicht zuletzt aufgrund ihrer Machart. Röggla knüpft an experimentelle, literarische Verfahren an, die in der österreichischen Literatur spätestens seit der Wiener Gruppe eine gewisse Tradition haben. Die Nähe zu Elfriede Jelinek wird von Kathrin Röggla selbst immer wieder erwähnt. Trotz dieser Anknüpfungspunkte wird Röggla oft als Berliner Autorin wahrgenommen.
"Ich glaube, dass die Stadt Berlin mit ihren ganze Möglichkeiten und Sackgassen bei ihr die größte Rolle spielt", sagt Helmut Böttiger. "Wenn Sie nach Prenzlauer Berg und Berlin Mitte gehen, das ist ja kaum auszuhalten, was da für eine Flut von 30- bis 40-Jährigen herumläuft, die alle irgendwie Webdesigner sein wollen und irgendwelchen zum Teil erfundenen Berufen mit Grafik-Kunst, Computertechnik versuchen, so eine neue digitale Boheme darzustellen, wo niemand weiß, wovon sie leben - meistens von ihren Eltern, aber das traut sich keiner zu sagen. In dieses Lebensgefühl stößt sie hinein - wobei Berlin da durchaus nicht nur dieses euphorisch, optimistische, Boheme-mäßige darstellt, sondern auch die grundlegenden Widersprüche der jetzigen spätkapitalistischen Gesellschaft."
Schöne neue Arbeitswelt
Den Widersprüchen der spätkapitalistischen Gesellschaft ist Kathrin Röggla unter anderem in ihrem 2004 erschienen Roman "wir schlafen nicht" auf der Spur, in dem sie mit soziologischem Interesse und kühlem Blick die schöne, neue Arbeitswelt der Unternehmensberaterindustrie analysiert. Eine Welt, in der die neoliberalen Glaubenssätze von Leistung und Effizienz zum einzigen Lebensinhalt werden.
Der Arbeit am Roman sind intensive Recherchen vorangegangen: Rund 30 mehrstündige Interviews mit Unternehmensberatern, Praktikanten und Führungskräften hat Röggla geführt und daraus eine Textpartitur geschaffen, in der die stereotype Consultant-Rhetorik zu einer Kunstsprache verwoben wird, die einen demaskierenden Sog entfaltet.
"Ich glaube tatsächlich, dass ein Text wie 'Wir schlafen nicht' vielleicht in zehn, 20 Jahren, wenn man auf die Gegenwartsliteratur zurückblicken wird und fragen wird: Was ist eigentlich am Anfang des neuen Jahrtausends geschrieben worden? Da bin ich mir sicher, dass 'wir schlafen nicht' etwas ist, worauf wir immer wieder zurückkommen werden", beurteilt Helmut Böttiger die Bedeutung von Kathrin Rögglas literarischem Werk. "Röggla hat die Erscheinungsformen dieser McKinsey- und Management-Welt erstmals als literarisches Sujet entdeckt und daraus literarische Funken geschlagen."