Die Musikerin Rokia Traoré

Die sanfte Revolution

"Das Recht zu erzählen, ist mehr als nur ein sprachlicher Akt", hat der Kulturtheoretiker Homi Bhabha einmal geschrieben. Und genau darum geht es in "Desdemona", einer Produktion von Peter Sellars für die Wiener Festwochen. Die Musik zum Stück stammt von Rokia Traoré.

Rokia Traoré

Frauen, die sich selbst ausdrücken. Frei sprechen, erzählen, reflektieren. Darüber nachdenken, was sie wollen und was sie nicht wollen.

Im imaginären dritten Raum

Der Text ist von der Nobelpreisträgerin Toni Morrison, sozusagen die feminine Replik auf Shakespeares "Othello", ein halluzinatorisches Zwiegespräch zwischen Desdemona und ihrer afrikanischen Amme jenseits des Todes. Geschichten, Lieder, Hoffnungsträume in jenem imaginären "dritten Raum" zwischen kolonialistischer Sieger-Rhetorik und der Perspektive der Verdammten dieser Erde.

Rokia Traoré, die singend, sprechend und tanzend den Part der afrikanischen Amme ausfüllt, hat schon mehrfach mit Peter Sellars, dem archetypischen Vermittler zwischen den Kulturen, zusammengearbeitet. Eine logische Kooperation, denn die Sängerin, die 1974 in Mali geboren wurde, ist seit dem Beginn ihrer Karriere in den 1990er Jahren eine wortgewaltige Advokatin von Frauenrechten und unbequemen gesellschaftlichen Themen.

Sie verschafft mit ihrer Stimme jenen Gehör, die keine Stimme haben. Allerdings nicht mit jenen kraftstrotzenden Melismen, die man von anderen Sängerinnen aus Mali wie Oumou Sangaré oder Kandia Koyaté kennt, sondern mit zartem Timbre und übereinandergeschichteten Vokalisen aus der euroamerikanischen Singer-Songwriter-Tradition.

Weichgezeichnete Lieder

"Es gibt in Mali großartige Wassoulou-Sängerinnen mit unglaublichen, kraftvollen Stimmen", meint Rokia Traoré. "Wenn mir nicht mehr einfallen würde, als einfach deren Stil zu kopieren, dann wäre ich wahrscheinlich gar nicht Musikerin geworden. Dann würde ich einfach dasitzen und zuhören. Ich habe immer schon Gitarre gespielt, aber ich wollte mehr über die Instrumente aus Mali wissen: etwa das große Balafon, das nicht harmonisch, sondern perkussiv eingesetzt wird. Ich brachte dieses Instrument mit der N'goni-Harfe und den Calabash-Trommeln zusammen."

Als "Chansons douces" hat ein französischer Kritiker die Musik von Rokia Traoré einmal bezeichnet: süße, weichgezeichnete Lieder im Gegensatz etwa zu dem raueren Wüsten-Blues von Traorés Landsmann Ali Farka Touré. Doch die polierte Klangoberfläche täuscht. Hinter der ohrenfreundlichen Fassade ist mehr experimentelle Lust am Werk als bei zahlreichen anderen World-Music-Acts. Ob es nun um das subtile Auskosten der klangfarblichen Möglichkeiten afrikanischer Instrumente geht, um die Integration einer Gretsch-Gitarre, die vorwiegend mit amerikanischem Rhythm and Blues assoziiert wird, oder gar die Zusammenarbeit mit einem genuin klassischen Ensemble.

Zwischen Eurozentrismus und Afrozentrismus

Rokia Traoré, die Diva, die aus dem Süden kam, passt einfach nicht ins Klischeebild der im Allgemeinen auf Authentizität und lokale Milieuverwurzelung erpichten Weltmusikgemeinde. Das hat vor allem mit ihrem biografischen Hintergrund zu tun: Geboren als Tochter eines hohen Diplomaten, verließ sie schon im Alter von vier Jahren zum ersten Mal ihr Heimatland und verbrachte einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend in nördlicheren Metropolen wie Algier, Paris und Brüssel.

So konnte Rokia Traoré eine Doppelperspektive zwischen Eurozentrismus und Afrozentrismus entwickeln, die vielen ihrer afrikanischen Musikerkollegen und -kolleginnen fehlt: Serge Gainsbourg und Salif Keita, Juliette Gréco und Miriam Makeba, Jimi Hendrix und der Kora-Meister Toumani Diabate - alles können Einflüsse und Ingredienzien sein, die sie für ihren eklektizistischen Musikmix benutzt, und mit der Force tranquille ihrer zarten Stimme zur individuellen Form eines euro-afrikanischen Singer-Songwritertums zuspitzt.

"Es gibt natürlich traditionelle Musik in Afrika, so wie überall auf der Welt", sagt Rokia Traoré. "Und sie ist es wert, bewahrt zu werden. Andererseits müssen wir uns auch der Moderne stellen. Und das bedeutet nicht nur Europa und die Kolonialgeschichte. Die Globalisierung ist, ob gut oder schlecht, eine Realität. Und wer da mitspielen möchte, muss etwas anzubieten haben."

Sehnsuchtsmusik aus Mali

Rokia Traoré ist eine kleine, zarte Frau mit einem markant nach vorne gewölbten Profil – ein wenig erinnern ihre Cover-Abbildungen an afrikanische Götterstatuen, wie man sie aus ethnologischen Museen kennt. Ihre Haare, in Afrika traditionell ein Medium symbolpolitischer Demonstration, trägt sie auf immer wieder unterschiedliche Weise: Mal kahl geschoren, um auf den prekären Status der Frau in der traditionellen malischen Gesellschaft hinzuweisen, dann wieder Dreadlock-artig geflochten oder zu etwas bobartig Hochgetürmten.

Rokia Traoré verströmt auch im Interview jene stille Intensität, die ihre Musik auszeichnet. Ein hypnotischer Diskurs, durch markante Pausen und Zäsuren interpunktiert, der wie eine Verlängerung ihrer quasi-psychedelischen Klanggeflechte im "dritten Raum" einer translokalen, von einem musikalischen Hypertext gesteuerten Sehnsuchtsmusik wirkt.

Therapeutische Funktion

Erst vier CDs hat die Künstlerin in gut 15 Jahren Karriere veröffentlicht. Sie denkt in Projekten und nicht in Karrierestrategien. Wenn eine neue Musikidee sich meldet, dann wird ein neues Album in Angriff genommen. Ansonsten schiebt man eben Theaterprojekte oder andere künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten nach vorne. Musik als Medium der sowohl individuellen wie auch politischen Selbstfindung in einer komplizierten Welt.

"Für viele Leute ist das einfach eine Musik, die sie entweder mögen oder auch nicht", meint Rokia Traoré. "Für mich bedeutet es viel mehr. Es geht darum, ob ich so akzeptiert werde, wie ich bin. Ich möchte, dass meine Klänge sich organisch entwickeln, ohne stilistische Zwänge und lange Überlegungen über Gesangsstil und Instrumente. Für mich hat das eine therapeutische Funktion, es ist eine Möglichkeit, mich selbst anzunehmen. Ich möchte, dass die Leute meine Persönlichkeit respektieren - und die ist ziemlich kompliziert.

Service

Toni Morrison, Rokia Traoré, "Desdemona", 13. Mai bis 19. Juni 2011, Theater Akzent,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen die Tickets ermäßigt (15 Prozent).

Rokia Traoré
Wiener Festwochen
Theater Akzent