Wolfgang Büscher wanderte durch Amerika
Hartland
Im Sommer 2001 brach der deutsche Schriftsteller und Publizist Wolfgang Büscher zu einem Fußmarsch von Berlin nach Moskau auf. Jetzt, ein knappes Jahrzehnt später, ist Büscher vom winterlich-eisigen Norden der USA bis hinunter zum Rio Grande gewandert. Über seine Erfahrungen als Wandersmann in "God's own country" hat der "Zeit"-Redakteur nun ein ebenso spannendes wie poetisches Buch vorgelegt.
8. April 2017, 21:58
Schikanöse Kontrolle bei der Einreise
An einem frostklaren Wintertag überschreitet Wolfgang Büscher, vom kanadischen Saskatchewan kommend, die Grenze zu den USA. Die Kontrolle durch die Zöllner ist brutal, die amerikanischen Grenzer unterziehen den abgerissenen Kerl aus Deutschland, der da von sich behauptet, zu Fuß durch die USA marschieren zu wollen, einer schikanösen Visitation. Nach mehreren Stunden scharfen Verhörs darf er endlich einreisen.
3.500 Kilometer wandert und trampt Wolfgang Büscher dann durch die USA, von Norddakota durch die Great Plains bis hinunter an die mexikanische Grenze. Ein Hobo unserer Tage. Der Wandersmann aus dem fernen Deutschland passt sich dem amerikanischen Lebensstil so gut es geht an während seines mehrmonatigen Abenteuers. Er schlürft dünnen Kaffee und ernährt sich von Burgern und Truthahn-Sandwiches, er trotzt Blizzards und Tornados und dem beißenden Wind, der ihm das Wandern in Nebraska und Kansas zur Qual macht.
In den menschenleeren Prärie-Staaten des Westens habe er das vielzitierte "Herz Amerikas" entdeckt, erklärt Wolfgang Büscher: "Es ist nicht das Amerika der Wall Street oder 'Hippietown San Francisco' oder solcher Ränder, die für uns Europäer vielleicht vertrauter sind, sondern es ist mitten drin. Es ist das Amerika der kleinen Leute, es ist das Amerika der Ur-Amerikaner, es ist das Amerika, aus dessen Substanz heraus all diese Filme, Lieder und Romane leben, die wir vielleicht kennen."
Immer wieder Neues erfahren
Nie in seinem Leben habe er eine Reise so wohlinformiert und bildersatt angetreten wie die in die USA, schreibt Wolfgang Büscher. Er hatte - wie wir alle - Filme von John Ford und Wim Wenders im Kopf und unzählige Songs von Neil Young und Bob Dylan. Aber so viel er auch über Amerika zu wissen geglaubt hatte, notiert Büscher: Das Land habe ihn auf seiner Wanderung dennoch überrascht.
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Immerzu hielt ich Ausschau nach etwas, nach einer Farm, einem Haus, einer Rinderherde, einem Pferd, einem Auto, eine totgefahrenen Hirsch oder Kojoten. Das alles gab es alle paar Meilen, aber es diente nur dazu, die Leere umso vernichtender, umso grandioser zu empfinden, die endlose, baumlose, brettflache Prärie. Wie leer Amerika war! So leer war Amerika, so amerikanisch die Leere - so hatte ich das nicht gewusst."
"Auch die Orte und die Städte sind sehr menschenleer", erzählt Büscher. "Die Leute sind in ihren Häusern oder in ihren Autos, aber sie sind nicht auf der Straße."
Warnung vor den Anderen
Auf bedächtige und poetische Art erzählt Wolfgang Büscher von seinen Abenteuern als Tramper. Der Route 77 von Missouri bis zum Rio Grande folgend, wird er immer wieder davor gewarnt, noch weiter in den Süden vorzudringen.
"Tja, das war ganz lustig, denn ich kannte das ja von meiner Wanderung von Berlin nach Moskau", sagt Büscher. "Da gab's immer diese Vorwarnungen vor dem Osten. Der Osten war immer das Schlimme. Im Westen - und der verschob sich immer weiter - wurde ich immer vor dem nächstbesten Osten gewarnt. Und so war es in Amerika mit dem Norden und dem Süden. Ich wurde immer vor dem nächsten Süden gewarnt. In Nord-Dakota wurde ich vor den südlicher gelegenen Staaten gewarnt, in den südlicher gelegenen Staaten wurde ich dann vor Texas gewarnt, und in Texas wurde ich vor Mexiko gewarnt", wo's wirklich relativ rau zugeht, wegen des Drogenhandels und der dazugehörenden Bandenkriege.
Mythos John F. Kennedy
Wolfgang Büscher erzählt von trostlosen Motels und kitschigen "Guest Houses" im viktorianischen Stil, von quietschenden Windrädern und gandenloser Suburb-Tristesse, von Armut und Hilfsbereitschaft der Leute, denen er auf seiner Reise begegnet. Er erzählt von der Kraft und der Müdigkeit eines Landes, das ihm in seiner Kindheit als Inbegriff dynamischer Jugendlichkeit erschienen war. Natürlich erinnert auch Büscher sich an den Mythos John F. Kennedys, der nicht nur das boomende Amerika, sondern auch die miefige deutsche Nachkriegswirklichkeit seiner Kindheit glamourös erhellt hatte.
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Amerika war bereit für einen Helden, der vor allem eines war: herrlich jung wie der Sieg. Und die Welt war ebenfalls bereit, sie wollte bezaubert werden. Und er bezauberte sie. Stupor mundi. Himmelhoch zielende Präsidentenreden und Mondmissionen, Saturnraketen, Straßenkreuzer, Flugzeugträger, Konfettigewitter - unnachahmlicher Blend von Erwähltheit und Jugend, von hohem Ton und Kaugummi. Amerika rief, wir können alles, und die Welt glaubte es.
"Wenn ich an meinen Vater denke, der bei Kriegsende siebzehn war, auf diese Generation hat das natürlich faszinierend gewirkt", so Büscher. "Hier war alles kaputt nach dem Krieg, hier war alles zerstört, hier war alles arm, Niederlage, Verluste, Verluste, Verluste. Und dann kommen diese Amerikaner daher, lässig, kaugummikauend, selbstbewusst, wir können alles, und das alles noch mit dieser Leichtigkeit, die hier ungewohnt war. Das ist, glaube ich, weg. Diese Leichtigkeit ist weg, die Jugendlichkeit ist weg. Das amerikanische Feuer lodert noch, aber es lodert nicht mehr zum Himmel, und es leuchtet nicht mehr in die ganze Welt."
Durch und durch konservativ
Wohin immer er kam auf seiner Reise: Wolfgang Büscher hat ein durch und durch konservatives Land betreten. Die Traditionen der Frontier-Ära sind immer noch höchst lebendig: der religiöse Fundamentalismus, der Geist gegenseitiger Nachbarschaftshilfe - und der Hass auf die kosmopolitischen Kompromissler in Washington.
"Dieses Sekten-Element zum Beispiel ist lebendig und da", erzählt Büscher. "Die Hilfsbereitschaft, die Freundlichkeit, die pragmatische Freundlichkeit der Amerikaner ist da. Es ist auch da die Aversion gegen Washington und gegen Obama im Westen, das mögen die Leute nicht. Und ich habe niemanden getroffen, der gesagt hat, die Gesundheitsreform ist toll, und Obama macht das alles richtig."
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Keiner, mit dem ich darüber sprach, wütete wie die Aktivisten der Tea Party im Fernsehen, aber ich fand auch keinen, dem gefallen hätte, was der Präsident sagte und tat. Auch die Stillen, Nachdenklichen fürchteten, er sei dabei, die Regeln zu schleifen, die ihr Land groß gemacht hätten, die einfachen, harten Regeln der Siedler und Pioniere. In den Plains hörte ich drei Sätze immer wieder: Ich will keine Regierung, die mir sagt, wie ich leben, wirtschaften, vorsorgen soll. Ich will ein Leben auf eigene Faust, wie es meine Vorväter suchten, als sie in dieses Land kamen. Und ich will nicht für die sorgen, die nicht für sich selbst sorgen."
Wolfgang Büscher hat ein langsames und reflexives Buch über seine Reise durch die USA geschrieben. Gut wandert, wer mit Büscher wandert. Und das Beste dabei ist: Man muss nicht einmal das heimatliche Wohnzimmer verlassen, um dem Autor auf seinem Abenteuertrip durch God's Own Country zu folgen.
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Wolfgang Büscher, "Hartland - Zu Fuß durch Amerika", Rowohlt
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