"+-0" von Christoph Marthaler

Erste Premiere der Wiener Festwochen

Bei den Wiener Festwochen kann man die Arbeit bestimmter Regisseure über Jahre hinweg kontinuierlich verfolgen. Zu ihnen gehört der Schweizer Christoph Marthaler. Seine neue Produktion "+-0" war die erste Festwochen-Premiere dieses Jahres.

"Ein subpolares Basislager" lautet der Untertitel, des Stücks, das am 12. Mai 2011 in der E-Halle des Museumsquartiers aufgeführt wurde. Das Stück ist bei einem Aufenthalt des Ensembles in Grönland erarbeitet worden.

Kultur aktuell, 13.05.2011

Nicht sein stärkstes Stück

Selbst wenn man sich zu den Fans von Christoph Marthaler zählt: Dieses Stück ist nicht sein stärkstes. Wobei auch ein schwächerer Marthaler noch einiges an sublimer Komik und musikalischen Höchstleistungen der Darsteller zu bieten hat.

Im Programmfolder zur Aufführung erklärt Marthaler in einem kurzen Text gleich selbst, worum es ihm bei "+-0" geht. Nämlich um die Zuneigung zu Grönland, "zu einem Land, dessen Zukunft aufgrund der fortschreitenden klimatischen Veränderungen ungewiss ist".

Marthaler in Grönland

Marthalers Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock hat wieder einen ihrer schön schäbigen Räume auf die Bühne gestellt, wo die Möbel und Wandverkleidungen aussehen wie seit den 1970er Jahren nicht getauscht. Diesmal ist es eine Art Trainingscamp mit Mini-Turnhalle. Wieder inszeniert Marthaler eine Montage aus hintergründig absurden Pantomimen, Literaturzitaten und kleinen Geschichten; unter anderem von zwei Schauspielerinnen aus Grönland auf Grönländisch erzählt und improvisiert.

Alfred Döblin hat 1924 in seinem utopischen Roman "Berge, Meere und Giganten" unter anderem die Erwärmung der Arktis prophezeit. Eine Passage daraus hat in das Stück gefunden.

Klimawandel, dänische Kolonisation

Die Bestrebungen von Wirtschaftsmächten, mit den Folgen des Klimawandels wiederum glänzende Geschäfte zu machen - das wird angerissen; ebenso wie die rücksichtlose kulturelle Kolonisation Grönlands durch Dänemark. Wie mit einem matten "eh-scho-wissen"-Gestus . Als hätten die Medien diese Missstände schon zu Tode kritisiert, und jede weitere Kritik würde zu leeren Geste.

Ist es so gemeint? Man rätselt. Und hält sich an die besten Szenen, die in einem sanften Daseinszwischenraum schweben. Etwa zur Passage aus dem Brahms-Requiem, dass wir "hier keine bleibenden Statt" haben.

Im Programmheft schreibt Marthaler von einem Gefühl der Befreiung und Ruhe, das ihn in Grönland überkam. In den meisten seiner Stücke hat er gegen etwas an-agiert - und diese Stücke haben besser funktioniert. Mehr als freundlicher Respekt gegenüber einem großen Regisseur wollte diesmal auch beim Schlussapplaus nicht aufkommen.